56 - Die Liebe des Ulanen 02 - Napoleons letzte Schlacht
Boden, als ob er sich von den Worten des Sprechers vollständig zerknirscht und niedergeschmettert fühle. Dann zog er den einen Fuß zurück und warf sich im nächsten Augenblick mit einem wuchtigen Sprung auf den Mann, der sich hier zu seinem Richter aufwarf.
„Noch ist's nicht soweit!“ rief er. „Stirb, du Schurke!“
Aber der verkleidete Husarenlieutenant war nicht der Mann, sich in dieser Weise überrumpeln zu lassen. Sein scharfes Auge hatte die Fußbewegung des Mörders ganz richtig taxiert. Er trat, als dieser sich auf ihn schnellte, zur Seite, erhob die Pistole und antwortete:
„So fahre hin ohne Beichte und Gebet!“
Sein Schuß krachte; und der Franzose stürzte, in den Kopf getroffen, zu Boden.
Jetzt waren die Opfer der Kriegskasse gerächt, und der Sieger befand sich, wie er meinte, in dem alleinigen Besitz des wertvollen Geheimnisses.
„Jetzt bin ich der einzige, der diesen Ort kennt“, sagte er zu sich. „Die Deutschen werden siegen und wieder in Frankreich eindringen. Ich hebe dann die Kasse und übergebe sie dem Marschall. Ein Avancement ist mir daraufhin gewiß. Daß ich diesen Menschen erschossen habe, braucht meinem Gewissen keine Schmerzen zu machen. Er war ein Verräter gegen seine Verbündeten, ein Mörder, der seinen Lohn empfangen hat.“
Er warf die Leiche des Erschossenen in das von diesem selbst bereitete Grab und deckte die beiden Toten mit Erde zu. Nachdem er die Stelle so hergerichtet hatte, daß man nur schwer erraten konnte, was hier vorgegangen war, zerstreute er rundum die noch übriggebliebene Erde. Auch gab er sich die möglichste Mühe, den Ort, an welchem die Kasse vergraben lag, so natürlich herzustellen, daß niemand auf den Gedanken geraten konnte, daß hier in der Erde ein Schatz von so bedeutendem Wert vergraben liege.
Nun blieb nur noch übrig, die Werkzeuge wieder zu verbergen. Er tat dies in derselben Weise, wie es vorher der Fall gewesen war, da ihm keine bessere Art der Verwahrung einfallen wollte. Darauf maß er die Lage der Goldgrube, der Werkzeuge und der Leichen genau nach Schritten ab und zog dann sein Notizbuch hervor, um seine Eintragungen darüber zu machen und eine Zeichnung zu entwerfen.
Jetzt war er fertig und trat den Rückweg an.
Als er das Haus erreichte, in welchem er gestern abend eingekehrt war, fand er die Wirtsleute längst munter, aber sie hatten sich noch nicht um ihn gekümmert und glaubten, daß er erst jetzt aufgestanden sei. Das war ihm lieb.
Nachdem er ein sehr frugales Frühstück genossen hatte, bezahlte er seine Zeche und setzte seinen Weg fort, begleitet von den besten Wünschen der beiden wortkargen Alten, welche gestern abend so ungewöhnlich mitteilsam gegen ihn gewesen waren. – – –
Zu Anfang des ereignisreichen Monats Juni des Jahres 1815 befand sich das große Hauptquartier der Franzosen zu Laon, während das der Moselarmee zu Thionville lag.
In dem ersteren war bereits Baron Daure, der Generalintendant der Armee, vor einigen Tagen angekommen, und nun erwartete man täglich, dort auch den Kaiser zu sehen. Zugleich wurde von Napoleon gesagt, daß er nach Straßburg gehen werde, um sich seinen Soldaten zu zeigen und die alte Begeisterung für sich wieder zu entflammen. Auch in Thionville wurde er erwartet.
Man kannte den großen Mann genau. Er liebte es, möglichst allgegenwärtig zu scheinen und sich gerade da sehen zu lassen, wo er am wenigsten erwartet wurde. Überhaupt zeigt die damals von ihm eingeschlagene Route, auf welcher er sich nach dem voraussichtlichen Schauplatze der zu erwartenden Kämpfe begab, noch heutigentags einige unausgefüllte Lücken. Er hat nach seiner ihm gewohnten Weise mehrere unerwartete Abstecher gemacht, deren Absicht selbst den Personen seiner nächsten Begleitung ein Rätsel blieb.
Die Eigenheiten eines Herrschers pflegen Nachahmung zu finden.
Einige Marschälle des Kaisers hatten sich ein ähnliches Verfahren, ihre Untergebenen zu überraschen, angewöhnt. Besonders wußte man von Marschall Grouchy, daß er es liebte, überall selbst zu sehen und zu hören, und es war allgemein bekannt, daß er viele seiner zahlreichen Siege und Erfolge zum Teil dieser Angewohnheit zu verdanken habe.
Es war um Mittag des Tages, an welchem Königsau die Kasse fand, als derselbe in Sedan anlangte. Er hätte die Stadt lieber umgangen, aber in ihr war die einzige Brücke, welche in jener Gegend über die Maas führte. Der Fluß war sonst ohne Gefahr nicht zu passieren, da er infolge
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