57 - Die Liebe des Ulanen 03 - Die Spione von Paris
erfahren zu sein.
Er griff in eine Tasche und zog einen Schlüssel hervor. Es zeigte sich, daß derselbe ganz genau in das Schloß jenes Faches passe, in welchem das Geld lag. Der Mann öffnete, zog den Kasten auf und steckte das Geld zu sich, und zwar mit einer Sicherheit, als ob er von den Verhältnissen auf das genaueste unterrichtet sei. Dann schloß er das Fach wieder zu, steckte den Schlüssel ein und schickte sich an, sich ebenso leise zu entfernen, wie er gekommen war.
Ihm dies zu gestatten, lag aber ganz und gar nicht in der Absicht des Kapitäns. Dieser war schlau genug, einzusehen, daß er sich vor allen Dingen der brennenden Laterne bemächtigen müsse, wenn es ihm gelingen solle, den Dieb zu fangen und einen jedenfalls gefährlichen Kampf im Finsteren zu vermeiden. Er fuhr daher in dem Augenblick, in welchem der Mann sich vom Schreibtisch abwandte, aus dem Bett empor und mit einem raschen Sprung an dem Dieb vorüber, welchem er dabei die Laterne entriß. Sich zwischen ihn und die Tür stellend, ließ er den Schein des Lichts auf ihn fallen und hielt ihm zugleich das Terzerol entgegen.
„Halt!“ gebot er ihm in nicht zu lautem, aber doch befehlendem Ton.
Der Mann war so überrascht und erschrocken, daß er einige Augenblicke lang wie erstarrt stehenblieb. Dann aber drehte er sich, da ihm die Flucht durch die Tür unmöglich schien, nach dem Fenster um.
„Abermals halt!“ gebot der Kapitän. „Auch dort lasse ich dich nicht durch, mein Bursche!“
Da zog der Mensch ein langes Messer aus der Tasche und machte Miene, sich den Ausgang mit demselben zu erzwingen.
„Steck das Messer ein, Kerl, sonst schieße ich!“
Dieser Befehl war in einem so nachdrücklichen Ton gegeben worden, daß der Dieb die Hand mit dem Messer sinken ließ.
„Weg das Messer, sage ich, sonst schieße ich!“ wiederholte Richemonte. „Eins – zwei – dr –“
Er kam nicht dazu, ‚drei‘ zu sagen. Der Dieb mochte immerhin ein verwegener Kerl sein, aber er mußte doch einsehen, daß eine Kugel schneller ist als eine Messerklinge. Er steckte also das Messer langsam wieder zu sich.
„Leg das Geld wieder hin auf dem Schreibtisch!“
Der Dieb schien zögern zu wollen, als aber Richemonte ihm mit dem erhobenen Terzerol drohend einen Schritt nähertrat, wandte er sich nach dem Tisch, zog die Beutel, in denen sich das Geld befand, hervor und legte sie an den angegebenen Ort.
„Nun die Maske ab!“ befahl der Kapitän.
„Das tue ich nicht!“
Das waren die ersten Worte, welche er hören ließ. Bei dem Ton dieser Stimme zuckte der Kapitän zusammen.
„Alle Teufel! Höre ich recht?“ fragte er. „Du willst dein Gesicht also nicht sehen lassen, mein Bursche?“
„Nein!“
„So weiß ich gar wohl, warum.“
Der Mann schwieg; darum fuhr Richemonte fort:
„Du schämst dich, dein Gesicht zu enthüllen, weil es jedenfalls schmachtvoller ist, seinen Herrn zu bestehlen als einen Fremden. Habe ich recht, Henry?“
Er erhielt keine Antwort.
„Nun“, meinte der Kapitän, „wenn du weder sprechen noch dich demaskieren willst, so ist das um so schlimmer für dich. Ich werde Leute herbeirufen, während ich im anderen Fall vielleicht geneigt sein dürfte, diese Angelegenheit unter vier Augen mit dir in Ordnung zu bringen.“
Er war sonst ganz und gar nicht der Mann, eine solche Milde walten zu lassen; aber es war ihm im gegenwärtigen Augenblick ein Gedanke gekommen, welcher mehr wert war als die Genugtuung, einen Dieb bestraft zu sehen.
„Ist das wahr?“ fragte jetzt der Mann.
„Ja.“
„So versprechen Sie es mir mit Ihrem Ehrenwort!“
„Unsinn! Einem Spitzbuben gibt man kein Ehrenwort. Das merke dir! Ich habe ja noch gar nicht gesagt, daß mit dem Ordnen unter vier Augen eine Straflosigkeit gemeint sei; aber es ist dennoch möglich, daß dieser Fall eintritt, wenn du mir nämlich unbedingt gehorchst. Versprechen aber werde ich nichts.“
„Nun, ich bin ja doch in Ihrer Hand. Diese verdammte Pistole hatte ich in meinem Programm nicht einkalkuliert. Ich muß mich also auf Gnade oder Ungnade ergeben.“
„Gut. Also fort mit der Maske!“
Jetzt gehorchte der Mann. Er nahm die Maske ab, und nun kam ein Gesicht zum Vorschein, welches einem vielleicht noch nicht ganz dreißig Jahre alten Mann gehörte. Dieses hätte keineswegs den Verdacht erregt, einem Spitzbuben anzugehören. Die Züge waren regelmäßig und beinahe hübsch zu nennen. Freilich weiß man ja, daß gerade solche Gesichter am meisten
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