58 - Die Liebe des Ulanen 04 - Hinter feindlichen Linien
eine der Flaschen, goß sich ein Glas voll ein und trank es aus. Dann hob er die beiden Revolver auf, welche Ribeau entfallen waren.
„Wie gut, daß sie kamen!“ sagte Nanon. „Wir waren nun ohne Waffen. Was tun wir jetzt? Am besten wird es sein, daß wir uns sofort entfernen.“
„Ich bitte, doch noch ein wenig zu warten“, sagte Fritz dann.
Er öffnete das Pult und blickte hinein. Zunächst zog er ein Paket starker Bindfäden hervor, mit welchem er die beiden besinnungslosen Franzosen band. Dann legte er sie so, daß sie, selbst wenn sie erwachen würden, nicht sehen konnten, was im Zimmer vorging.
Nun untersuchte er den Inhalt des Pultes sorgfältig. Dabei nahm sein Gesicht den Ausdruck steigender Genugtuung an. Madelon wußte, daß er preußischer Wachtmeister war; sie kannte also auch den Grund, weshalb er diese Bücher und Papiere so genau durchsuchte. Nanon hatte aber keine Ahnung davon. Sie war ganz erstaunt über das Interesse, welches er für diese Skripturen zeigte.
„Interessieren Sie sich so sehr für die Pulverfabrikation?“ fragte sie.
„Nein, aber desto mehr für die Handschriften, welche ich hier finde. Ist Ihnen diese Unterschrift bekannt?“
Er legte ihr einige Briefe hin.
„Ah, der alte Kapitän!“ sagte sie.
„Und hier?“
„Graf Rallion.“
„Diese Sachen interessieren mich so, daß ich wünsche, eine Abschrift von ihnen zu haben. Ich werde Ihre Geduld nicht lange auf die Probe stellen.“
Er nahm Bleistift und Papier und begann zu schreiben. Nanon wunderte sich schier über die Umsicht, welche dieser Pflanzensammler besaß. Es war eine eigentümliche Situation: Dort die beiden Gefesselten, denen die Besinnung noch nicht zurückgekehrt war; hier die beiden Mädchen, soeben aus einer großen Gefahr errettet und an diesem greulichen Ort dem schreibenden Kräutermann mit einer Ruhe zusehend, als wenn sie sich in bester Sicherheit befänden.
„So!“ sagte Fritz nach einiger Zeit. „Jetzt bin ich fertig, und wir können aufbrechen.“
Er steckte die Abschriften zu sich und brachte die Originale wieder an Ort und Stelle. Eben wollte er sein Licht anstecken, um dann die Lampe verlöschen zu können, als er aufhorchte.
„Man klopft!“ sagte Nanon.
„Das ist kein Klopfen“, meinte Fritz. „Man hämmert förmlich gegen die Tür. Und da, dieses Rufen! Ich glaube gar, man belagert uns. Sollte es dem Kutscher gelungen sein, sich zu befreien und die Gäste zu alarmieren?“
„Das kann uns nichts schaden!“ meinte Nanon. „Öffnen wir!“
Aber Madelon verstand die Situation besser. Fritz befand sich in größter Gefahr.
„Nein, nicht öffnen!“ sagte sie.
„Aber, warum nicht?“
„Davon später!“
Fritz nickte ihr beistimmend zu.
„Sie beide befinden sich wohl weniger in Gefahr“, sagte er. „Aber wenn man sich meiner bemächtigt, so erwartet mich nichts Gutes. Ich habe den Kutscher gefesselt und diese beiden Messieurs niedergeschlagen.“
„Das ist schlimm, sehr schlimm!“ sagte Madelon. „Was ist da zu tun? Man klopft und ruft immer stärker.“
„Kommen Sie!“ meinte Fritz. „Man muß sehen, was sie wollen.“
Er ließ Hut und Mantel des Kutschers liegen. Die Revolver hatte er zu sich gesteckt. Er nahm die beiden Damen bei den Händen und führte sie im Dunkeln fort bis vor, wo die Pferde mit dem Wagen standen. Es waren draußen viele Menschen beschäftigt, das Tor aufzusprengen.
„Hätten Sie doch Ihr Gepäck nicht mit im Wagen!“ flüsterte er.
„Lassen wir es im Stich!“ antwortete Nanon.
„Nein. Man wird doch sehen, ob diese Messieurs es fertig bringen werden, uns festzuhalten. Ein Glück, daß dieser Raum hier groß genug ist, um den Wagen umlenken zu können. Bitte steigen sie ein!“
„Herrgott!“ sagte Nanon. „Es wird wohl gefährlich?“
„Für Sie nicht!“
„Aber für Sie?“
„Auch das befürchte ich nicht. So! Jetzt sitzen Sie fest. Jetzt wollen wir ein Wort mit diesen Leuten reden.“
„Wer ist draußen?“ frage er laut.
„Ich, ich, ich, wir, wir!“ antworteten viele Stimmen.
„Was wollt ihr denn eigentlich!“
„Wo ist Monsieur Berteu?“
„Im Schreibzimmer.“
„Und Monsieur Ribeau?“
„Auch dort.“
„Und der Fremde, der mich gewürgt und gebunden hat?“
„Das war der Kutscher. – Der bin ich.“
„Also, macht uns auf!“
„Sogleich! Im Augenblick!“
Er hatte den Wagen umgelenkt und die Zügel fest in der Hand. Das Tor ging nach auswärts auf; daher gelang es den Leuten nicht, es
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