600 Stunden aus Edwards Leben
immer noch dort, und ich habe sie nicht so oft gesehen, wie ich es gern gewollt hätte.«
»Ist Onkel Andy nicht letztes Jahr gestorben?«
»Ja. Wir könnten dann als zwei verrückte Witwenschwestern in Texas herumlaufen.«
»Das ist witzig, Mutter.«
»Wäre das für dich in Ordnung, wenn ich von nun an mehr Zeit in Texas verbringe?«
»Ja. Warum fragst du?«
»Ich weiß nicht. Du bist ein erwachsener Mann, Edward, und ich weiß, du kommst allein zurecht. Aber falls du den Eindruck hättest, ich lasse dich im Stich, würde ich nicht fahren wollen.«
»Ich weiß, dass du mich nicht im Stich lässt, Mutter.«
»Gut.«
»Ich könnte dich sogar manchmal besuchen kommen.«
»Edward, das fände ich großartig.«
»Ich denke, ich auch.«
Sie streckt ihre Hand aus, ergreift meine rechte und drückt sie. Ich drücke zurück.
»Bist du mir böse wegen mancher Dinge, die dein Vater getan hat?«
Meine Mutter und ich sind in seinem Arbeitszimmer und sehen die Fotoalben durch. Sie meint, ich solle welche davon mitnehmen und sie in meinem Haus an der Clark Avenue aufheben, was ich für eine gute Idee halte.
»Nein.«
»Ich fühle mich schrecklich wegen all der Dinge, die ich nicht wusste. Als ich diese Briefe in Jays Ordner gesehen habe, kam ich mir so … so hintergangen vor. Von deinem Vater und auch von Jay. Später kam ich mir dumm vor. Ich habe mich gefragt: Wie habe ich das nicht merken können? Wie habe ich mich so von dir und deinem Leben entfernen können? Wie konnte ich es zulassen, dass er mich dir so entfremdet hat?«
»Dr. Buckley sagt, ich solle versuchen, mich an das Gute in Vater zu erinnern, und im Zweifelsfall davon ausgehen, dass er das Beste gewollt hat, selbst wenn es nicht schön war.«
»Und was hältst du davon?«
»Ich denke, das ist leichter gesagt als getan. Ich denke aber auch, dass Dr. Buckley sehr weise ist und sich die Anstrengung lohnt.«
»Ich schätze, ja.«
Wir sehen weiter Fotos an.
»Edward, was war das für ein Brief, den Jay dir am Montag gegeben hat?«
»Vor ein paar Jahren hat Vater mir geschrieben, dass er stolz auf mich ist und mich liebt, und dass er hofft, er werde es mir sagen, bevor er stirbt, damit ich es nicht in dem Brief lesen müsse.«
Die Augen meiner Mutter füllen sich mit Tränen. »Ich wünschte, er hätte es dir gesagt.«
»Das wünschte ich auch, aber Dr. Buckley sagt, er habe mir damit ein großes Geschenk gemacht. Sie habe Klienten, die ihr ganzes Leben lang darauf warten, diese Worte von ihren Vätern zu hören. Ich musste nur warten, bis ich neununddreißig Jahre und zweihundertneunundneunzig Tage alt wurde.«
Meine Mutter lacht, während ihr die Tränen über die Wangen laufen. »Ich liebe dich auch, Edward.«
»Ich weiß, Mutter. Und ich liebe dich.«
Bevor ich gehe, erklärt meine Mutter, dass wir noch einen Tagesordnungspunkt zu erledigen hätten.
»Lass deinen Toyota hier und nimm den Cadillac.«
Der Cadillac DTS meines Vaters steht in der Auffahrt und glänzt im Licht der frühen Nachmittagssonne.
»Was wird mit dem Toyota passieren?«
»Ich lasse von Jay die nötigen Papiere vorbereiten, und dann geben wir ihn zusammen mit den anderen Sachen der Hilfsorganisation. Mit den Kleidungsstücken, dem Auto und dem Scheck, den wir noch ausstellen werden, werden wir ein paar Leuten, die es mit Sicherheit verdient haben, bestimmt frohe Feiertage bescheren, was meinst du?«
»Ja. Das klingt sehr gut.«
»Der Schlüssel steckt. Viel Spaß mit deinem neuen Auto! Dein Vater hatte ihn ganz bestimmt.«
Ich gebe meiner Mutter einen Kuss auf die Wange, dann gehe ich zu dem wunderschönen dunkelkirschroten Wagen. Ich öffne die Tür und steige ein.
Ich drehe den Zündschlüssel und begutachte das Instrumentenpaneel, das ganz anders aussieht als das in meinem Camry. Während ich den Sicherheitsgurt anlege, klopft meine Mutter gegen die Scheibe der Fahrertür.
Die Scheiben des DTS lassen sich nicht per Hand herunterkurbeln. Schließlich finde ich den Knopf für die Fenster-Automatik.
»Edward, es wird eine Weile dauern, bis das Haus verkauft ist, und ich werde nicht vor dem Frühjahr nach Texas reisen. Kann ich darauf zählen, dass wir uns ab und zu sehen?«
»Ja, Mutter. Natürlich.«
»Denn wir werden jetzt besser miteinander auskommen, du und ich, ja?«
»Ja.«
»Gut. Pass auf dich auf, mein Sohn. Ich werde dich in ein paar Tagen anrufen, oder du mich, okay?«
»Ja.«
Sie legt eine Hand auf meine Wange und lächelt, dann tritt sie
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