600 Stunden aus Edwards Leben
»Anwesenheit im familiären Heim zu Störungen und Unstimmigkeiten führt«. Das hat nicht mein Vater geschrieben, sondern sein Anwalt. Weder vorher noch nachher habe ich meinen Vater von einem »familiären Heim« reden gehört.
Dass der Brief von seinem Anwalt stammte, weiß ich daher, dass oben der Briefkopf des Anwalts aufgedruckt war. Gelegentlich rede ich mit meinem Vater von Angesicht zu Angesicht, aber häufig folgt danach ein Brief, manchmal mit seinem Briefkopf, manchmal mit dem des Anwalts. Ich habe noch nicht herausgefunden, wie ich vorhersagen kann, welcher Briefkopf kommen wird, obwohl ich es immer vorhersagen kann, wann ein Brief kommt. Aber Vorhersagen traue ich sowieso nicht. Ich bevorzuge Tatsachen.
Ich lebe allein in diesem Haus. Als mein Vater es kaufte, erklärte er sehr deutlich, dass ich ohne seine Zustimmung keinen Mitbewohner haben dürfe. Ich weiß nicht, warum er sich deswegen überhaupt Sorgen machte. Ein Mitbewohner würde nur meine alltäglichen Abläufe stören und meine Wetterdaten durcheinanderbringen. Ich weiß, wie Mitbewohner sind. Ich habe das in der Fernsehserie
Ein Grieche erobert Chicago
gesehen, allerdings ist das schon lange her, weil die Serie 1993 eingestellt wurde. Balki Bartokomous hat mir gut gefallen. Er war sehr lustig. Wenn ich allerdings einen Mitbewohner wie Balki hätte, müsste ich gut auf meine Wetterdaten aufpassen. Sein heißes Temperament (ich liebe das Wort »Temperament«) würde mir an die Substanz gehen, wenn er anfinge, mit meinen Wetterdaten herumzupfuschen.
Im Aktenschrank mit den zwei Schubladen in meinem Schlafzimmer befindet sich eine meiner wichtigsten Sammlungen: meine Beschwerdebriefe. Ich habe die Briefe in grünen Aktenordnern jeweils unter dem Namen der Person abgelegt, bei der ich mich beschwert habe, und innerhalb dieser Ordner sind die Schreiben nach dem Datum sortiert.
Sie denken jetzt sicher, dass es seltsam ist, Kopien von Beschwerdebriefen aufzubewahren, und da hätten Sie auch recht, aber die Briefe sind keine Kopien. Es sind die originalen Beschwerdebriefe, und sie werden niemals abgeschickt.
Die Briefe waren Dr. Buckleys Idee. Ich weiß nicht, wie sie darauf kam, aber es ist eine gute Idee. Vor acht Jahren, nachdem mein Vater und sein Anwalt den Sänger Garth Brooks davon überzeugen konnten, die Unterlassungsklage gegen mich aufzuheben, kaufte mein Vater dieses Haus. Wie es scheint, war das »Garth-Brooks-Debakel«, wie er es heute noch nennt, der Auslöser dafür gewesen, dass er und meine Mutter beschlossen, ich könne nicht länger im »familiären Heim« wohnen. Ich finde, meine Briefe an Garth Brooks waren absolut gerechtfertigt. Wenn man Countrymusik ganz objektiv betrachtet, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass er sie verhunzt hat. Er hat auch viel Popmusik verhunzt, vor allem, als er so tat, als wäre er dieser Chris Gaines, und als er den Song von Kiss gecovert hat. Ich hatte ihm nur geschrieben, um darauf aufmerksam zu machen, welchen Schaden er anrichtet, weil ich dachte, vielleicht merkt er es gar nicht und hört auf, wenn er es erfährt. Ich musste ihm neunundvierzig Mal schreiben, bis ich eine Antwort bekam, und die war dann nicht von ihm, sondern von seinem Anwalt.
Danach bin ich hierhergezogen und musste zu Dr. Buckley gehen. Seitdem besuche ich sie jeden Dienstag eines jeden Monats eines jeden Jahres. Sie hat mich ermutigt, weiterhin Beschwerdebriefe zu schreiben, aber sie schlug vor, dass ich sie nicht abschicke, damit ich mit den Leuten keine Probleme mehr bekomme. Ich gebe zu, dass ich am Anfang nicht viel Sinn darin gesehen habe, aber esfunktioniert tatsächlich. Wenn ich die Briefe schreibe, geht es mir besser. Wenn ich einen Brief geschrieben habe und ihn ablege, merke ich bald, dass ich ihn gar nicht mehr abschicken will.
Dr. Buckley ist eine sehr logische Frau.
Jeden Abend um Punkt 22:00 Uhr sehe ich
Polizeibericht
. Ich sehe mir nur die Folgen in Farbe an, die zwischen 1967 und 1970 gedreht wurden.
Polizeibericht
wird nicht mehr gesendet, deshalb muss ich mir die Folgen ansehen, die ich im Jahr 2000 auf Video aufgenommen habe, als sie bei
TV Land Network
wiederholt wurden. Ich habe alle achtundneunzig Folgen in Farbe auf Kassette.
Da heute der 13. Oktober und damit der 287. Tag des Jahres ist (wegen des Schaltjahres), werde ich mir die einundneunzigste Folge der Serie ansehen: »Hundediebe«. Diese Folge, die das erste Mal am 26. Februar 1970 ausgestrahlt wurde, sehe ich in diesem Jahr dann
Weitere Kostenlose Bücher