Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
Vom Netzwerk:
hinterlassen. Dann suchte sie Kurt Essigs Zimmer auf. Zum ersten Mal – bei der Hausdurchsuchung gegen Odenthal war den Mordermittlern der Zutritt verwehrt gewesen. Der richterliche Beschluss hatte Essigs Teil der Wohnung ausgenommen und wie ein Zerberus hatte der Lehrer über die Unverletztheit seiner Privaträume gewacht.
    Anna drückte die Tür auf.
    Ein hoher, heller Raum. Knarrendes Parkett, kein einziger Teppich. Ein Kristallleuchter hing von der Decke und warf seinen Schein auf ein Chaos, das Anna fast den Atem raubte. Kein Stuhl oder Tisch, der nicht von Zeitungen oder irgendwelchen Zetteln bedeckt war. Auf dem Fußboden stapelten sich Bücher und Zeitschriften. Das Bett war mit Kleidungsstücken übersät, ungebügelte Hemden hingen über der offenen Schranktür.
    Ein Gegensatz zum Erscheinungsbild des Lehrers, dem exakten Scheitel und den polierten Schuhen. Ein Mensch, der nur die Fassade pflegte.
    An der Wand allerlei gerahmte Schwarz-Weiß-Fotos. Ähnlich wie im Arbeitszimmer ihres Vaters, nur dass diese Bilder keine Familie zeigten. Landschaften in interessantem Licht, Tempelpyramiden und immer wieder exotische Kindergesichter.
    Vermutlich selbst entwickelt – Odenthal hatte in seiner Vernehmung das Hobby seines Freundes erwähnt, Anlass für Streit unter Wohngenossen: Stundenlang blockiert Kurt das Bad mit seinen Chemikalien.
    Die Kollegen hatten den Mörder nach seinem Verhältnis zu Essig befragt. Angeblich bekannte sich der Lehrer in seinem Kollegenkreis nicht offen zu seiner Neigung. Er lebte zurückgezogener, als es seinem Freund Odenthal lieb war.
    Ein einziges Mal waren die Männer gemeinsam in Urlaub gefahren. Sri Lanka – Odenthal hatte Andeutungen über die so genannten Beach Boys gemacht, die sich in den Touristenorten der Küste anboten: Wie die Schmeißfliegen. Hello-Kurti hier, Hello-Kurti da.
    Anna folgerte: ein Hobbyfotograf und kleine Jungs.
    Sie nahm einen Stuhl zu Hilfe und hob Blechkisten vom Schrank, in denen sie Unmengen von Schwarz-Weiß-Abzügen fand. Sie wühlte sich durch das Material. Essig hatte die ganze Welt bereist.
    Das süße Lächeln exotischer Kinder hatte es ihm offenbar angetan. Ebenso halb nackte Burschen, die er einzeln und in Gruppen hatte posieren lassen. Sie drängten sich vor Essigs Linse, als würden sie dadurch berühmt.
    Nichts, was mit dem Gesetz kollidierte.
    Im Schrank nur Kleidung und Schuhe, auch im Schreibtisch keine weiteren Fotos. In der Schublade des Nachtkästchens ein heilloses Durcheinander an Kugelschreibern, Nagelscheren und Tempo-Packungen. Zerdrückte Tuben mit Gleitgel, Kondomschachteln und Schwulenpornos – ebenfalls im legalen Rahmen.
    Unter dem Bett alte Schuhe, ein Regenschirm und eine Kiste voller Briefe, für deren Lektüre Anna keine Zeit hatte.
    Sie klopfte sich den Staub von den Ärmeln und blickte sich um. In diesem Zimmer gab es nur noch einen Ort, wo das versteckt sein konnte, was sie suchte.
    Anna fegte die Klamotten vom Bett, zerrte Decke und Kissen herunter und stemmte die Matratze aus dem Kasten.
    Bingo: ein Umschlag auf dem Lattenrost, abgegriffen und aus braunem Papier. Keine Beschriftung.
    Anna schüttete den Inhalt aufs Parkett.
    Noch einmal Bingo: bestes Material, gestochen scharf.
    Oralverkehr mit exotischen Jungen. Sie waren eindeutig jünger als sechzehn. Einige von ihnen blickten dabei in die Kamera. Anna glaubte, ein Flehen in ihren Augen zu erkennen – vielleicht bildete sie sich das aber auch nur ein.
    Doch sie stellte fest, dass die Fotos nicht das wert waren, was sie gehofft hatte. Der Kunde, den die Kinder bedienten, blieb unerkannt. Nur sein Schwanz war im Bild, ausgestreckte Beine und ein Bauch, der sich weiß im Blitzlicht wölbte. Keine besonderen Kennzeichen.
    Anna wühlte. Sie wurde ungeduldig. Die Zeit lief ihr davon.
    Noch mehr Kids aus Südamerika und Asien. Es wurde schmutziger: Analverkehr, ausgemergelte Leiber und weggetretene Gesichter – vielleicht standen die kleinen Stricher unter Drogen.
    Anna spürte, wie ihr übel wurde und ihr Zorn auf den Freund des Mörders zunahm. Plötzlich, unverhofft: Bingo, Bingo, Bingo – die letzten Fotos zeigten Essig selbst.
    Selbstauslöser, vermutete Anna und konnte ihr Glück kaum fassen. Der Lehrer glotzte unverwandt in die Kamera, sein kleines Opfer vor dem Bauch. Stolz darüber, einen Beach Boy ins Hotelzimmer gelockt zu haben. Anna triumphierte.
    Kurt Essig, du hast einen Fehler gemacht.
    In diesem Moment schwang die Tür auf und krachte gegen den

Weitere Kostenlose Bücher