62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen
Salon.“
Er führte ihn nach der ersten Etage und öffnete eine Tür. Der Baron trat in einen hell erleuchteten, reizend ausgestatteten Salon, in welchem sich noch kein Gast befand. Aber auf den samtenen Diwans saßen und lagen mehrere Damen, welche sich bei seinem Eintritt grüßend erhoben. Sie gehörten derjenigen Klasse an, welche Heinrich Heine als ‚verlorene schöne Kinder‘ bezeichnet.
Kaum hatte der Baron Platz genommen, so scharten sie sich um ihn herum und verlangten zu trinken. Er bestellte Wein, und bald zeigte es sich, daß diese Vertreterinnen des schönen Geschlechtes wie die Küfer oder Kürassierwachtmeister zu trinken verstanden.
„Wie viele Damen gibt es in diesem Haus?“ fragte er.
„Acht“, wurde geantwortet.
Er zählte nach. Sieben saßen bei ihm, und eine achte war einsam in der fernsten Ecke geblieben.
„Das ist nicht wahr“, behauptete er.
„O doch!“
„Ihr seid zehn!“
„Nein.“
„Freilich. Zwei sind heute angekommen.“
„Ach, diese beiden! Sie gehören noch nicht zu uns.“
„Kennt Ihr sie schon?“
„Nein.“
„Aber gesehen habt Ihr sie doch?“
„Auch nicht.“
„Das ist sonderbar!“
„O nein! Die beiden dummen Mädels glauben nämlich, daß sie hier in Dienst gekommen sind. Sie werden heute noch bei dieser Meinung gelassen; darum durften sie uns noch nicht sehen. Morgen aber werden sie eingekleidet und mit in den Salon kommandiert.“
„Und wenn sie sich weigern?“
„Weigern? Das hilft ihnen nichts. Wer einmal hier über die Schwelle getreten ist, der muß gehorchen. Nicht alle sind so dumm wie die Wally.“
„Wer ist Wally?“
„Die dort hinten.“
Die Sprecherin zeigte auf dasjenige Mädchen, welches, als die anderen den Gast begrüßt hatten, bewegungslos auf seinem Platz sitzen geblieben war. Der Baron warf einen musternden Blick auf diese Gestalt.
Sie saß in die Ecke gedrückt und das Gesicht von der Gesellschaft abgewendet. Er sah nur ihren Hinterkopf, von welchem zwei lange, starke, schwere Zöpfe schwarzen Haares auf das seidene Kleid, welches sie trug, niederfielen. Unter dem Saum dieses Kleides lugte die Spitze eines zierlichen Füßchens hervor, und die Hände, welche er erblickte, waren klein, voll und weiß, so daß sie den Neid mancher vornehmen Dame erwecken konnten. Die Figur war schön gemeißelt und jugendlich voll. Schade, daß er das Gesicht nicht sehen konnte!
„Ihr nennt sie dumm?“ fragte er. „Warum?“
„Sie hat auch gedacht, sie käme als Zimmermädchen oder als Zofe her. Und nun läßt sie sich von keinem einzigen Gast berühren.“
„Hm! Ist das wirklich dumm?“
„Was denn anders? Wir geben ihr gute Worte. Wir lachen sie aus. Doch alles hilft nichts.“
„Also darum bleibt sie so fern?“
„Soll sie mit her?“
„Natürlich! Sie soll auch ein volles Glas erhalten!“
„Wally, geh her!“
Die Angeredete blieb in ihrer Ecke sitzen.
„Wally, hörst du?“
Sie tat, als ob sie nichts gehört habe. Sie bewegte sich nicht; sie drehte nicht einmal den Kopf herum.
„So ist sie! Sie wird aber schon noch anders werden.“
„Ich will doch einmal versuchen, ob sie auch mir nicht antwortet“, sagte der Baron.
Er stand auf und trat zu der Schweigsamen. Er legte ihr die Hand auf die Schulter und sagte:
„Mädchen, komm und trinke mit!“
Sie antwortete nur dadurch, daß sie durch eine rasche Bewegung seine Hand von der Schulter schleuderte.
„Sei nicht so ungezogen!“ fuhr er fort. „Komm, ich gebe dir für jeden Kuß einen Gulden.“
Er bog sich nieder und wollte den Arm um sie legen. Da aber fuhr sie empor und drehte ihm ihr Gesicht zu. Es war schön, sehr schön, aber leichenblaß. Ihre großen, dunklen Augen glühten ihm drohend entgegen, aber kein Wort kam zwischen ihren vollen, zusammengekniffenen Lippen hervor. So standen sie sich einige Augenblicke schweigend gegenüber. Dann begann er lachend:
„Das sieht ja ganz gefährlich aus! Aber du machst mich doch nicht bange! Komm, gib mir einen Kuß!“
Er streckte den Arm nach ihr aus. Sie wich so weit wie möglich zurück und stieß halblaut hervor:
„Fort! Nicht anrühren!“
„Meinst du? Wozu ist die Schönheit da, als angebetet zu werden? Weigere dich nicht; es hilft dir doch nichts!“
Er wollte sie umfassen, erhielt aber in diesem Augenblick einen Stoß von ihr, daß er zurücktaumelte.
„Donnerwetter!“ rief er zornig. „Diese Katze beißt! Bezahlte ich euch etwa den teuren Wein, um mißhandelt zu werden?“
Da
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