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62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

Titel: 62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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du?“
    „Fünf Jahre.“
    „Wie viele sind davon verbüßt?“
    „Vier Jahre.“
    „Bist du hier einmal bestraft worden?“
    „Nein, Herr Regierungsrat.“
    Das Gesicht des Direktors erheiterte sich immer mehr. Er langte neben sich und ergriff ein kleines Aktenheft, in welchem er zu blättern begann. Er nickte mit dem Kopf, als ob er sich erst besinne, weshalb er diese Nummer 306 zu sich berufen habe, und fragte dann:
    „Weshalb wurdest du bestraft?“
    „Wegen Unterschlagung.“
    „Du warst natürlich unschuldig?“
    „Nein, Herr Regierungsrat.“
    „Ah! Ganz dieselbe Antwort hast du mir bereits bei deiner Einlieferung gegeben. Das macht einen guten Eindruck. Wer seinen Fehler bekennt, ist besserungsfähig. Die meisten aber sagen, sie seien unschuldig. Man behandelt sie mit Mißtrauen. Hier habe ich deine Personalien. Ich lese, daß du Gutsinspektor gewesen bist. Hattest du Familie?“
    „Frau und eine Tochter.“
    „Leben sie noch?“
    Das Auge des Gefangenen füllte sich sofort mit Tränen. Er antwortete mit zitternder Stimme:
    „Meine Frau ist während meiner Gefangenschaft gestorben. Sie hat es nicht verwinden können.“
    „Ja, so kommt es. Jetzt hast du ihren Tod auf dem Gewissen! Wieviel Gehalt hattest du?“
    „Fünfhundert Gulden.“
    „Hm! Und nur Weib und Kind. Da konntest du auskommen. Warum die Unterschlagung?“
    Der Gefangene blickte vor sich nieder. Es ging wie ein schwerer Kampf über seine Züge, dann antwortete er:
    „Ich hatte gespielt, Herr Regierungsrat.“
    „Ach so! Wieder einmal der Spielteufel! Wie soll das später werden, wenn du entlassen bist!“
    „Ich bin kein leidenschaftlicher Spieler.“
    „Hast dich aber doch durch das Spiel unglücklich gemacht!“
    „Ich kannte es nicht. Ich hatte überhaupt noch niemals gespielt. Darum verlor ich so viel.“
    „Du bist bestraft genug. Ich will dir keine Vorwürfe machen. Bei wem warst du denn angestellt? In den Einlieferungsakten steht nichts davon.“
    „Bei dem Herrn Major von Scharfenberg.“
    Der Direktor machte eine jähe Bewegung der Überraschung.
    „Was? Wie?“ fragte er. „Bei meinem Bruder?“
    „Ja.“
    „Das habe ich nicht gewußt. Ich entsinne mich allerdings, von diesem Fall gehört zu haben. Und nun fällt mir auch der Name auf. Eine Familie Petermann steht bereits seit Generationen in unserem Dienst. Der letzte Petermann, den ich kannte, war Schloßverwalter auf Scharfenstein, welches dann meinem Bruder zufiel.“
    „Das war mein Vater.“
    „So, so! Dich habe ich nie gekannt. Aber, Mensch, das tut mir herzlich leid. Einer unserer Petermänner im Zuchthaus als mein Untergebener! Und das habe ich in diesen vier Jahren nicht gewußt! Es ist nicht meine Sache, auf das Verbrechen zurückzukommen, aber – hast du dich denn nicht an meinen Bruder gewandt?“
    „Nein.“
    „Warum nicht? Er hätte es sicherlich nicht bis zur Anzeige und Bestrafung kommen lassen!“
    „Er selbst hat mich angezeigt und mir Bestrafung angetragen.“
    „Hm! Wie lange hattest du in seinem Dienst gestanden?“
    „Über zwanzig Jahre.“
    „Aber wohl nicht zu seiner Zufriedenheit?“
    „Er hat mir nie ein tadelndes Wort gesagt.“
    „Dann begreife ich erst recht nicht. Es muß eine eigene Bewandtnis damit haben. Nicht?“
    Wieder suchte das Auge des Gefangenen den Boden, doch bald richtete es sich wieder klar und fest auf den Direktor.
    „Es gab keinerlei Bewandtnis, Herr Regierungsrat. Ich brauchte das Geld und nahm es aus der Kasse. Der Herr Major entdeckte das Defizit in eigener Person und ließ mich sofort arretieren. Es wäre ohne Erfolg gewesen, mich später noch an ihn zu wenden.“
    Der Direktor stand von seinem Stuhl auf und schritt einige Male nachdenklich im Zimmer auf und ab. Dann blickte er abermals in die Akten und sagte endlich:
    „Hast du eine Ahnung, weshalb ich dich jetzt kommen ließ?“
    „Nein.“
    „Weißt du, was für einen Tag wir morgen haben?“
    Der Gefangene nannte das Datum.
    „Nein, das meine ich nicht. Es gibt einen Freudentag.“
    „Ah, Königs Geburtstag!“
    „Ja. Nun rate!“
    Über das vergrämte Gesicht des Gefangenen blitzte ein Strahl der Freude, der aber schnell wieder verschwand.
    „Nun, warum sprichst du nicht?“ fragte der Direktor.
    „Das, was ich raten möchte, kann doch wohl nicht sein!“
    „So! Hm! Seine Majestät pflegen sich kurz vor seinem Geburtstag die Namen einiger Gefangenen vorlegen zu lassen, die sich gut geführt haben. Ich erhielt heute das Verzeichnis

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