62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen
ist sehr wahrscheinlich.“
„Oh, man irrte sich dennoch. Der Riese wurde der hiesigen Landesirrenanstalt zur Beobachtung übergeben, und da hat sich dann herausgestellt, daß er irgendein Medikament erhalten hat, geradeso wie Ihre Frau Gemahlin. Es traten, je länger, desto mehr, bei ihm lichte Stunden ein. Er scheint Reue zu fühlen und gestand, daß eines Nachts jemand mit Hilfe einer Leiter an sein Gefängnisfenster gekommen sei und ihm Branntwein zu trinken gegeben habe.“
„Sagte er, wer das gewesen sei?“
„Nein. Er behauptete, ihn nicht gekannt zu haben. Natürlich vermutet man, daß es der Hauptmann gewesen sei. Man hat bereits da ein Auge auf den alten Apotheker Horn geworfen. Kommt meine Anzeige dazu, so wird dieser ganz sicher gefänglich eingezogen.“
„Welch ein Affront! Mein Name in Beziehung zu diesem alten Giftmischer!“
„Es tut mir leid, ist aber kaum zu ändern.“
„Ist die Anzeige denn wirklich unmöglich zu vermeiden?“
„Hm! Es ist immerhin möglich, daß ich mich irre.“
„Nun, also –“
„Aber ich lade eine schwere Verantwortung auf mich. Ich riskiere meine Stellung, meinen Ruf, meine Existenz!“
„Ich werde Ihnen für diese Rücksicht gern dankbar sein.“
„Sehr wohl! Aber dennoch kann ich mich kaum entschließen, mich noch einige Zeit wartend zu verhalten.“
„Warum?“
„Die Behandlung und Beobachtung einer solchen Patientin erfordert so außerordentlich geistige Anstrengung und auch so ungewöhnliche andere Opfer, daß –“
„Daß –? Bitte, sprechen Sie weiter!“
„Daß ich Ihnen lieber den Vorschlag machen möchte, mich von den Verpflichtungen, welche ich übernommen habe, zu entbinden.“
„Das heißt, ich soll meine Frau anderen Händen übergeben?“
„Aufrichtig gesagt, ja.“
„Dazu möchte ich mich denn doch nicht entschließen. Ich wiederhole, daß ich gern dankbar sein werde. Erlauben Sie mir, die Pension, welche ich zahle, zu verdoppeln!“
Der Arzt zuckte geringschätzig die Achseln.
„Oder zu verdreifachen!“ fügte der Baron hinzu.
Doktor Mars vermochte doch nicht, ein siegreiches Lächeln zu unterdrücken. Er sagte:
„Ich erkenne Ihre Bereitwilligkeit ja gern an, Herr Baron; aber ich übernehme doch ein Risiko, zu welchem die dreifache Pension in keinem befriedigenden Verhältnisse steht. Ich bin Irrenarzt aus Beruf, aber ich bin auch Anstaltsbesitzer aus Berechnung. Ich will nicht bloß heilen, sondern ich will auch verdienen.“
Der Baron durchschaute seinen Mann recht wohl. Er wurde von Minute zu Minute besorgter. Er vermochte zwar nicht, klar zu sehen, aber er bemerkte doch, daß der Arzt mehr wisse oder doch wenigstens mehr ahne, als er sich merken lasse. Daraus erwuchsen Gefahren für ihn, denen er nur mit der Waffe des Goldes entgegentreten konnte. Darum antwortete er:
„Was Sie da sagen, ist mir ganz begreiflich, und ich freue mich, daß Sie aufrichtig mit mir sind. Ich wünsche keineswegs, daß Sie Schaden von mir haben sollen. Sie wollen heilen und wollen auch verdienen. Gut, betrachten wir die Angelegenheit einmal nur vom geschäftlichen Standpunkte. Wieviel fordern Sie dafür, daß meine Frau Ihrer Behandlung noch weiter anvertraut bleibt.“
„Nun, Sie sprachen von der dreifachen Pension.“
„Ich zahle sie gern.“
„Natürlich glauben Sie, mich damit vollständig befriedigt zu haben?“
„Nein. Sie wollen ein Geschäft machen. Ich bin bereit, mich zu einer Extragratifikation zu verstehen.“
„In welcher Höhe?“
„Bestimmen Sie!“
„Ich möchte doch lieber Ihnen überlassen, die Summe zu nennen, welche Sie sich denken.“
„Das würde mir peinlich sein. Bestimmen lieber Sie!“
„Ich denke, daß sich jetzt überhaupt noch nichts bestimmen läßt.“
„Ah! Wieso?“
„Weil wir beide noch gar nicht wissen, was Sie für die Patientin tun werden.“
„Das ist allerdings der Fall. Aber –“
„O bitte, ich pflege Geschäfte kulant zu behandeln. Ich schreibe Ihnen jetzt eine Anweisung auf meinen Bankier.“
Der Arzt verbeugte sich.
„Ich lasse die Stelle, welche die Summe enthalten soll, offen, und Sie füllen dieselbe aus, sobald Sie ungefähr bestimmen können, wie hoch das Äquivalent Ihrer Mühe ungefähr zu sein hat. Sind Sie zufrieden?“
„Gewiß, Herr Baron! Befehlen Sie noch irgendeine Auskunft in Beziehung auf Ihre Frau Gemahlin?“
„Nein. Lassen Sie uns Ihre Expedition aufsuchen.“
Sie gingen. Im Zimmer des Arztes legte dieser letztere dem Baron
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