62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen
erscholl ein lauter Schrei, welcher aber bei der Aufregung, die jetzt im Salon herrschte, nicht gehört oder nicht beachtet wurde.
„So! Hier hast du die Strafe für deine Frechheit, verdammte Dirne!“
Bei diesen Worten holte der Diener aus und schlug sie so schnell mit beiden Händen auf beide Wangen, daß es von niemand verhindert werden konnte. Im nächsten Augenblick aber stand Randau vor ihm und brauste ihm entgegen:
„Mensch, was tun Sie hier?“
Aber noch eine andere Stimme rief dem braven Offizier von der anderen Seite zu:
„Lassen Sie das! Hier bin jedenfalls ich der Mann, einzuschreiten! Wally, heißen Sie Petermann?“
„Ja“, hauchte sie, ohne ihn anzusehen.
Sie hielt beide Hände vor das vor Schmerzen brennende Gesicht. Der Hausdiener wendete sich an den Eindringling. Petermann war es, welcher aus dem Kabinett getreten war.
„Was geht Sie das an? Sie haben hier kein Wort zu sagen! Und damit Sie das erkennen, werde ich das Mädchen vor Ihren Augen züchtigen! Hier! Da!“
Er holte blitzesschnell aus und schlug Wally abermals ins Gesicht, sank aber im nächsten Augenblick, von einem schweren Gegenstand auf den Kopf getroffen, lautlos zu Boden. Petermann hatte eine Weinflasche vom Tisch fortgerissen und sie ihm auf dem Kopf zerschlagen.
Vor Schreck waren alle stumm. Nur Petermanns Stimme erscholl jauchzend:
„Valeska!“
Da nahm sie die Hand von den Augen. Ihr Blick fiel auf den Vater, welchen sie sofort erkannte.
„Vater! Mein Vater!“ rief sie jubelnd aus.
Er öffnete die Arme und sie stürzte an seine Brust. Aller Augen ruhten auf der Gruppe. Sie streichelte ihm die Wangen und küßte ihn und rief dabei freudig:
„Frei! Du bist frei! Du kommst, mich zu retten!“
„Ja, ich habe dich gesucht, mein teures Kind. Man hat dich betrogen und verkauft, nicht wahr?“
„Ja, ja! Schaffe mich fort, nur fort von hier!“
„Sogleich, sogleich! Vorher aber noch eine Frage: Hat man dich gezwungen, oder hat Gott dir beigestanden bei deinem Widerstand?“
Da blickte sie ihm voll und aufrichtig in die Augen und antwortete:
„Vater, du bist zur rechten Zeit gekommen.“
„Gott sei Dank! Wäre das nicht der Fall, ich würde diese ganze Kuppelgesellschaft hier erwürgen! Ich werde sie dennoch dem Strafrichter übergeben. Komm!“
Er nahm sie bei der Hand, um sie fortzuführen. Da erblickte er Randau. Er hatte, ohne seine Tochter vollständig sehen zu können, alles beobachtet. Erst als sie nach der Mitte des Salons geschleudert worden war, hatte er sie erkannt. Er bot dem jungen Lieutenant die Hand.
„Herr“, sagte er, „ich habe Sie Randau nennen hören, weiter weiß ich nichts von Ihnen; aber eins weiß ich, nämlich daß Sie ein Ehrenmann sind. Sie haben mein Kind in Ihren Schutz genommen. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen dafür!“
Nachdem er ihm die Hand gedrückt hatte, wendete er sich nach der Tür. Aber dort trat ihm die Melitta entgegen. Sie sagte:
„Was soll das heißen? Sie wollen gehen?“
„Ja, natürlich!“
„Doch nicht mit Wally?“
„Was sonst! Sie ist meine Tochter.“
„Dieses Kleid ist nicht das ihrige!“
„Das wird sich finden!“
„Sie hat über achthundert Gulden Schulden bei mir!“
„Das mag vom Gericht untersucht werden!“
„Ich lasse sie ohne Kündigung nicht fort!“
„Wer sie hier zurückhalten will, den schlage ich mit der Faust nieder! Verstanden?“
Er trat drohend auf sie zu. Sie wich zurück und ließ ihn gehen. Er führte seine wiedergefundene Tochter durch das Büfettzimmer hinaus in den Korridor, zur Treppe hinab, den Flur entlang und gelangte, da der Hausdiener sich jetzt nicht als Wächter hier befand, unangefochten mit ihr auf die Straße. Dort blieb er stehen.
„Gott sei Lob und Dank“, seufzte er tief auf. „Das war eine wahre Höhle des Teufels!“
„Fast noch schlimmer, lieber Vater. Ich kann mir selbst den Teufel nicht ohne Mitleid denken; diese Menschen aber hatten kein Erbarmen.“
„Ich werde sie bestrafen lassen, mit aller, aller Strenge. Jetzt aber komm! Wir haben einander viel, außerordentlich viel zu erzählen.“
„Wohin gehen wir?“
„In einem Gasthof ersten Ranges. Morgen früh suche ich die Polizei auf, um Anzeige zu machen, und dann wird es sich ja finden, wo wir unser Domizil aufschlagen.“
Droben war alles in größter Aufregung zurückgeblieben. Die Melitta und die Wirtschafterin knieten bei dem Hausdiener, welcher kein Lebenszeichen von sich gab, und die Herren Offiziere blickten
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