62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen
Eigentümliche und Unbegreifliche! Er zahlt mir jährlich dreihundert Gulden dafür, daß er meinen Keller zuschütten darf. Später, wenn unser Übereinkommen abgelaufen ist, kann ich ihn mir wieder ausgraben lassen.“
Der Musterzeichner stieß einen leisen Pfiff zwischen den Zähnen hervor und sagte:
„Das begreife allerdings auch ich nicht. Ich denke mir nur, daß er dich täuschen wird!“
„Nein. Er schüttet den Keller zu.“
„Durch wen?“
„Das weiß ich nicht. Ich habe ihn bis übermorgen zu räumen und dann den Schlüssel steckenzulassen. In vierzehn Tagen erhalte ich den Schlüssel wieder, um mich zu überzeugen, daß der Keller wirklich zugeschüttet ist.“
„Und wer erhält dann den Schlüssel?“
„Ich behalte ihn. Du siehst also, daß ich mich keineswegs in Gefahr befinde.“
Der Musterzeichner schüttelte langsam den Kopf und sagte:
„Ich halte da mein Urteil noch zurück, werde es dir aber nach einiger Zeit sagen. Ich will mich erkundigen.“
„Du? Erkundigen? Bei wem? Wer wird dir denn Auskunft über solche Heimlichkeiten des Waldkönigs geben können!“
„Er selbst.“
„Was? Er selbst? Bist du des Teufels?“
„Kann ich nicht auch mit ihm zusammentreffen, geradeso wie du? Er kann ja auch mit mir Geschäfte haben.“
Der Müller starrte ihn eine Weile an und sagte dann:
„Mensch, du bist ein Pascher!“
„Warum?“
„Weil du mit dem Waldkönig zu tun hast!“
„Pah! Das ist kein Grund, das zu denken, denn dann wärst du ja auch ein Pascher. Wenn der Waldkönig von einem etwas verlangt, so muß man gehorchen, sonst ist man des Lebens nicht mehr sicher –“
„Ja. Er hat mir auch gedroht.“
„Das kann ich mir denken! Jetzt, Schwägerin, will ich dir sagen, daß du noch keine Angst zu haben brauchst. Wir werden in einigen Tagen darüber sprechen. Von Vorteil scheint die Sache für euch zu sein!“
„Das ist es ja“, fiel der Müller ein. „Der König drohte mir mit dem Tod, falls ich mich weigern sollte. Und im Gegenteil meinte er, falls ich ihm den Willen tun wolle, werde ich sogleich merken, daß es sich mit mir zum Besten wende. Ich schlug also ein, nachdem er mir versprochen hatte, die Sache so einzurichten, daß ich nie mit der Polizei in Konflikt kommen könne. Und was geschah bereits am nächsten Tag? Das Glück ging los! Seidelmann kam und brachte mir die Arbeit. Gestern abend trat ich vor die Tür, da lag ein Reh mit einem Zettel, auf welchem stand: ‚Geschenk vom Waldkönig‘. Dumm war es freilich, daß meine Frau dazu kam, als ich mit ihm verhandelte. Sie war leise hinten herangetreten und hörte alles an, wobei sie in der Küche steckte. Erst als er fort war, trat sie hervor. Sie ist voller Angst, daß mir dieses Geschäft Schaden bereiten wird.“
„Vielleicht hat sie recht; vielleicht irrt sie sich auch.“
„Ich werde mich wohl nicht irren“, fiel Frau Pauline ein. „Der Waldkönig handelt gegen das Gesetz. Er ist nicht nur ein Pascher, sondern auch ein Mörder. Und wer mit ihm ein Abkommen eingeht, der unterstützt ihn und ist also strafbar.“
„Aber, Frau“, sagte ihr Mann. „Du magst da ganz recht haben, aber du mußt auch bedenken, welche Drohung der Pascherkönig gegen mich ausgestoßen hat. Wäre ich nicht auf seinen Vorschlag eingegangen, so hätte ich ihn mir zum Feind gemacht.“
„Lieber ihn als das Gesetz zum Feind!“
„Wie du doch nur so sprechen kannst! Er ist gefährlicher als das Gesetz. Das Gesetz mordet nicht; um mich aber wäre es geschehen gewesen, wenn ich ihm nicht gehorcht hätte.“
„Ja, das traue ich ihm zu“, stimmte der Musterzeichner ein. „Er ist rücksichtslos und grausam; das habe ich auch an mir erfahren.“
Der Müller warf einen forschenden Blick auf ihn und sagte:
„Aus deinen Reden läßt sich schließen, daß auch du mit ihm in Beziehung stehst!“
„Hm! Vielleicht!“
„Kerl, du bist doch nicht etwa dennoch ein Pascher?“
„Nein; aber ich soll einer werden.“
„Um Gottes willen! Das darfst du nicht tun!“
„Bis jetzt ist es ihm noch nicht gelungen, mich so weit zu bringen, obgleich er sich alle Mühe gegeben hat.“
„So hat er auch mit dir gesprochen? Er ist persönlich mit dir verkehrt?“
„Ja. Er ist sogar zuweilen in meine Wohnung gekommen.“
„In Gegenwart deiner Frau?“
„Nicht nur das, sondern auch in Gegenwart meiner Schwiegermutter.“
„Welch eine Unvorsichtigkeit von ihm!“
„Unvorsichtigkeit? Ah, du kennst ihn schlecht. Er ist ein
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