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62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

Titel: 62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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träumt ihm, daß er den Schnupfen hat. Da klingelt es, und er soll zu einem armen Teufel kommen, der sich verbluten will. Was antwortet der Doktor? Daß er nicht kommen kann, weil er gerade jetzt im Schweiße liegt: das sei lebensgefährlich für ihn, und so ein kostbares Leben müsse er doch seinen Patienten zu erhalten suchen.“
    „So ist es, obgleich nicht zu bestreiten ist, daß es auch viele brave Ärzte gibt, die ganz ohne Ansehen der Person und auch ganz heldenhaft ihre Pflicht tun. Etwas Leichtes und Angenehmes ist es nicht, Pockenkranke zu behandeln.“
    „Das weiß ich gar wohl. Meine Frau kann weder sehen noch hören noch schmecken oder riechen. Und so ist es auch mit den Kindern. Nun habe ich die Leiche. Die muß doch begraben werden.“
    „Das macht Kosten. Der Sarg, das Grab, der Pfarrer, die Leichenfrau. Alles das will bezahlt sein!“
    „Und ich habe doch keinen Kreuzer in der Tasche!“
    „Gar nichts? Wirklich?“
    „Keinen roten Heller. Und dabei verordnet der Doktor Milch und Bouillon und verschreibt eine Medizin, von welcher ich an einem Tage für drei Gulden verbrauchen kann.“
    „Hast du nicht den Seidelmann?“
    „Den? Laßt mich in Ruhe mit ihm!“
    „Er kann dir doch gern einen Vorschuß geben. Er hat es deinen Mustern zu verdanken, daß er bei seinen Auftraggebern einen solchen Stein im Brett hat.“
    „Ich habe es versucht; er aber hat mich abgewiesen.“
    „Das ist doch kaum zu glauben!“
    Wilhelmi erzählte, wie es ihm heute bei Seidelmann gegangen war. Als er geendet hatte, schlug der Müller auf den Tisch und rief:
    „Das ist schlecht von ihm, grundschlecht! Ich habe es ihm nicht zugetraut, weil er so freundlich gegen uns gewesen ist.“
    „Gegen Euch?“
    „Ja.“
    „Wann denn und wie?“
    „Nun, er hat uns Arbeit geschickt. Wir mahlen für ihn; darum geht heute nach langer Zeit einmal unsere Mühle.“
    „Für ihn? Wozu braucht er denn Mehl, und woher nimmt er die Körner? Seine Familie ist doch nicht so groß, daß er wegen des Brotmehls zum Müller muß!“
    „Es ist eine Spekulation. Er hat Getreide von jenseits der Grenze erhalten; ich mahle es, und er verkauft das Mehl im großen. Er sagt, daß dabei ein Geld zu verdienen sei.“
    „Wo liegt denn das Getreide?“
    „Droben in der Dampfmühle. Die können es aber nicht machen, und darum soll ich mithelfen. Ich habe für längere Zeit zu tun, und da hat er, um das Geschäft fest zu machen, mir gleich hundert Gulden Vorschuß gegeben.“
    „Hm! Das sieht ihm doch gar nicht ähnlich!“
    Die Müllerin warf ihrem Mann einen verstohlenen Blick zu, winkte zu seinem Bruder hinüber und machte dann, aber so, daß der letztere es nicht bemerken konnte, mit den Fingern die Bewegung des Geldzählens. Ihr Mann nickte ihr beistimmend zu und sagte:
    „Du siehst also, daß wir für die nächste Zeit keine Sorge zu haben brauchen. Ich habe so sehr viel Geld nicht einmal nötig. Zwanzig Gulden kann ich ganz gut entbehren. Wenn du sie brauchst, kannst du sie haben.“
    Das elektrisierte den Musterzeichner. Er sprang von seinem Stuhl auf, blickte die beiden mit blitzenden Augen an und fragte in freudigstem Ton:
    „Ist's wahr?“
    „Gern!“
    „Und auch du, Schwägerin?“
    „Oh“, antwortete sie; „ich habe nichts dagegen!“
    „Wirklich nicht? Wirklich?“
    „Nein. Ich habe dem Mann ja erst zugewinkt, daß er dir es anbieten soll!“
    „Ha, ihr seid gut! Und das werde ich euch niemals vergessen. Nun kann ich Atem holen! Nun ist mir leicht. Meine armen Leute können essen und trinken, und auch die Medizin sollen sie haben. Ich bin wie neugeboren. Es ist geradeso, als ob mir Engel geholfen hätten.“
    „Na, na“, lächelte die Müllerin. „Wir sind nur Menschen, und noch dazu mit dir verwandt. Da ist es ja unsere Pflicht, zuzugreifen, wenn es möglich ist!“
    „Das ist wieder ein Beweis, was für eine gute Schwägerin ich habe! Aber laßt mich gehen, ihr Leute! Daheim sitzen und liegen sie im Elend. Ich darf sie keine Sekunde länger in Sorgen lassen, als es unbedingt notwendig ist!“
    Da machte der Müller eine abwehrende Handbewegung, deutete auf den Stuhl, von welchem sein Bruder aufgestanden war, und sagte:
    „Warte noch eine kleine Weile! So schlimm es zu Hause bei dir aussehen mag, haben sie es so lange Zeit getragen, können sie es auch noch eine Viertelstunde aushalten. Ich muß dir nämlich etwas erzählen und dich dann um deinen Rat fragen. Ich möchte gern hören, was du zu der Sache

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