62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen
sagst.“
„Ja, das sagtest du bereits vorhin, und in meiner Freude dachte ich nicht mehr daran. Was ist es denn?“
Er setzte sich wieder nieder. Der Müller kratzte sich verlegen in den Haaren und wendete sich an seine Frau:
„Na, Pauline, wie soll ich denn anfangen? Es ist das doch eine sehr bedenkliche und fatale Geschichte!“
„Erzähle es ganz so in der Reihe, wie es geschehen ist“, riet sie ihm.
„Das geht nicht, absolut nicht! So eine Sache will ganz apart angegriffen sein.“
„Ach warum denn? Es ist ja dein Bruder! Ihm wirst du doch Vertrauen schenken!“
„Das wohl! Aber, hol's der Teufel, ich finde trotzdem den richtigen Anfang nicht!“
„Ist es denn gar so bedenklich?“ fragte Wilhelmi.
„Das versteht sich!“
„Was betrifft es denn?“
„Hm! Ein Geschäft.“
„Mit wem?“
„Mit – hm! – Na, heraus damit: Mit dem Waldkönig.“
„Mit dem Waldkönig?“ rief der Musterzeichner.
Dieses Wort hatte auf ihn einen eigentümlichen Eindruck gemacht. Er war von seinem Stuhl emporgeschnellt, und sein Gesicht war nicht nur blaß, sondern geradezu leichenfahl geworden.
„Herrjeses, wie der Kerl erschrickt!“ sagte der Müller. „Pauline, sieh dir ihn doch einmal an!“
„Es ist auch zum Erschrecken“, antwortete sie. „Wer mag sich an den Waldkönig binden!“
Wilhelmi hatte sich von seinem Schreck erholt. Er ließ sich langsam wieder auf den Stuhl niedersinken und sagte:
„Hat er dir einen Boten gesandt?“
„Nein.“
„So ist er selbst gekommen?“
„Ja.“
„Und du hast mit ihm gesprochen?“
„Mit ihm selbst.“
„Wann ist das gewesen?“
„Am Montag des Abends.“
„Erzähle es mir!“
„Nun, du weißt, daß meine Frau und die Försterin Wunderlich gut zusammenhalten. Am Montag abend ging Pauline nach dem Forsthaus, um die Freundin zu besuchen. Ich blieb ganz allein bis vielleicht eine Stunde vor Mitternacht. Da klopfte es an den Laden. Ich dachte, daß es meine Frau wäre, und wunderte mich darüber, da sie doch ganz leicht und ohne meine Hilfe durch die Hintertür herein könne. Aber als ich vorn die Tür aufmachte, trat eine Mannsperson herein.“
„Das war der Waldkönig?“
„Ja.“
„Wie sah er aus?“
„Zuerst sah ich es nicht, denn er war sehr schnell hereingetreten, und ich hatte kein Licht im Hausflur.
‚Sind Sie allein?‘ fragte er mich.
‚Ja‘, antwortete ich.
‚Ich habe gesehen, daß Ihre Frau beim Förster ist. Darum komme ich. Ich habe mit Ihnen zu reden. Kommen Sie herein in die Stube!‘
Er ging voran, und ich folgte ihm. Da stand er denn geradeso da, wie er gewöhnlich beschrieben wird.“
„Wie denn?“ fragte der Musterzeichner.
„Schaftstiefeln mit den Hosen drin, kurze Jacke und Hut.“
„Über dem Gesicht eine schwarze Maske?“
„Ja.“
„Was hatte er für eine Stimme?“
„Das kann ich wirklich nicht sagen. Sie klang ganz hohl unter der Larve hervor.“
„Was wollte er denn? Ich platze fast vor Begierde. Ich ahne es nämlich bereits.“
„Nein, du kannst es nicht ahnen.“
„O doch!“
„Ganz unmöglich. Es ist etwas ganz Sonderbares, was er von mir verlangte.“
„Sonderbar? Nun, so ist meine Vermutung richtig.“
„Du müßtest allwissend sein, um es zu wissen.“
„Nun, so will ich es dir sagen: Er wollte etwas von dir pachten oder mieten?“
„Wahrhaftig, du hast es erraten! Aber was?“
„Den hinteren Keller.“
Da blickte der Müller seinen Bruder in unverhohlenem Erstaunen an, schlug mit der Faust auf den Tisch und rief:
„Auch das ist richtig! Kerl, wie kannst du das wissen?“
„Ich werde dir es nachher sagen. Bist du den Handel eingegangen?“
„Ja.“
„O weh! Warum hast du das getan!“
„Konnte ich anders? Denkst du etwa, daß er mich groß gefragt oder gebeten hat?“
„Nun, fragen hat er dich doch müssen!“
„Das ist ihm gar nicht eingefallen. Er hat gesagt, daß er der Waldkönig ist und meinen Keller braucht. Er hat verlangt, daß ich ihm denselben abtrete, und mir dreihundert Gulden Pacht dafür geboten.“
„Jährlich?“
„Natürlich! Er hat mir auch sogleich die Hälfte angezahlt.“
„Was! So ist das Geld, welches du mir borgen willst, vom Waldkönig?“
„Nein, sondern von Seidelmann.“
„Aber weißt du denn, in welche Gefahr du dich da begeben hast?“
„Sie ist nicht groß.“
„Er wird deinen Keller als Pascherniederlage benutzen wollen. Das ist doch klar!“
„O nein. Das ist ja eben das ganz und gar
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