62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen
schlauer Patron und versteht es, zu berechnen.“
„In einer solchen Unvorsichtigkeit kann doch unmöglich eine Berechnung liegen!“
„Es ist eben keine Unvorsichtigkeit. Er wußte, daß ich arm bin und mich in Not befand. Not bricht Eisen und betört das Gewissen. Wenn man im Elend steckt und eine Mutter ihre Kinder hungern sieht, sehnt sie sich nach Hilfe, ohne zu prüfen, ob dieselbe auf einem gesetzlichen Weg erlangt wird. Darum hat der Pascherkönig mich in Gegenwart meiner Frau und Schwiegermutter aufgesucht. Er bot einen hübschen Lohn; wir brauchten Geld; was er von mir verlangte, war nicht direkt etwas Unrechtes; meine Frau jammerte; das Geld stach ihr in die Augen – na, ich wurde schwach, und da er mich bedrohte, falls ich ihm nicht gehorsam sei, ging ich darauf ein. Das ist die Sache.“
„Was hast du denn für ihn zu tun gehabt?“
„Hm! Es ist nicht notwendig, davon zu reden. Du hast vielleicht gehört, wie er die Ausplauderei bestraft.“
„Ja. Aber ich habe dir doch auch verraten, welches Geschäft ich mit ihm gemacht habe.“
„Das kannst du. Ich bin dein Bruder.“
„Und ich bin der deinige!“
„Das ist richtig. Na, du wirst es ja nicht weiterreden. Ich habe zuweilen einen Brief besorgt.“
„An wen?“
„Das darf ich ganz gewiß nicht sagen.“
„Hast du nicht gewußt, was darin steht?“
„Nein. Denkst du, der Waldkönig weiht seine Boten in seine Geheimnisse ein? Das darfst du ihm nicht zutrauen.“
„Aber die Sache ist gefährlich für dich!“
„Das sehe ich auch ein. Ich werde mich nicht lange mehr mit ihm abgeben.“
„Pah! Er hat dich fest und wird dich zwingen. Wer dem Teufel einmal einen Finger gibt, dem zwingt er auch nach und nach die ganze Hand ab!“
„Das ist eine Redensart. Ich bin schwach gewesen und habe ihm den Finger gegeben; mehr aber bekommt er nicht, darauf kannst du dich verlassen. Und wenn er mir droht, so weiß ich, was ich tue.“
„Nun, was?“
„Ich stelle mich so, als ob ich ihm gehorche, tue aber trotzdem, was ich will.“
„Bruder, wage alles, nur dieses nicht!“
Der Musterzeichner zog die Brauen zusammen und antwortete:
„Vergiß nicht, daß ich kein Kind bin! Ich habe die Armut und das Elend kennengelernt, aber mit den Gerichten habe ich noch nichts zu schaffen gehabt, und davor werde ich mich auch in Zukunft hüten. Der Waldkönig mag bestehen, so lange er will; einmal aber kommt doch seine Zeit, einmal bricht seine ganze Sache zusammen, und dann sind auch alle diejenigen verloren, die es mit ihm gehalten haben. Ich mag nicht dabei sein!“
„Das ist alles recht gut; aber er hat dich einmal fest, und ich glaube nicht, daß er dich wieder aus dem Garn läßt.“
„Er wird mich schon herauslassen müssen. Will er mich zwingen, so kehre ich den Spieß um. Wenn nur – hm!“
Er hielt inne und blickte nachdenklich vor sich nieder.
„Was meinst du?“ fragte sein Bruder.
„Wenn ich nur einmal einen, nur diesen einen treffen und mit ihm sprechen könnte!“
„Sapperment! Ja, da hast du recht. Der ist ganz gewiß dem Waldkönig gewachsen.“
„Und – was nämlich die Hauptsache ist – er hat die Absicht, ihn zu fangen. Das merkt man aus allem, was man von ihm hört.“
„Ja, aber wie und wo ihn treffen!“
„Das habe ich mich auch gefragt, und da bin ich auf einen recht guten Gedanken gekommen. Du weißt doch, daß er bei dem Pfarrer gewesen ist.?“
„Ja, am Sonntag. Er hat für die Kinder Beyers gesorgt.“
„Nun, es läßt sich erwarten, daß er sich einmal nach ihnen erkundigt. Und wo wird er das tun?“
„Jedenfalls beim Pfarrer.“
„Entweder bei diesem oder bei Hausers, wo die Kinder untergebracht worden sind. Ich werde also zum Pastor und zum alten Hauser gehen. Kommt der Fürst des Elends zu ihnen, so mögen sie es ihm sagen, daß ich mit ihm zu sprechen habe.“
„Ganz gescheit! Und gerade von diesen beiden hast du nicht zu befürchten, daß sie dich verraten werden.“
„O nein. Das sind zwei sichere Männer. Und wenn er dann zu mir kommt, soll ich auch von dir mit ihm reden?“
„Wegen meines Kellers?“
„Ja.“
„Hm! Das will überlegt sein!“
„Nein, das braucht gar nicht überlegt zu werden“, bemerkte da die Müllerin. „Der Fürst des Elends ist der Mann dazu, alles zum besten zu lenken.“
„Aber es ist gefährlich!“
„Warum denn?“
„Ich muß doch eingestehen, daß ich mit dem Waldkönig einen Pakt geschlossen habe!“
„Was schadet das?“
„Ich bin
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