62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen
aber nun auf!“
„Eben deshalb frage ich, was mit ihm werden soll.“
„Nun, was weiter als ein Hungerleider! Ich gebe ihm ganz natürlich keine Arbeit mehr. Hat er noch nicht angefangen, so lasse ich das Material gleich wieder holen. Er mag einsehen, daß es nicht vorteilhaft ist, der Vater eines dummen Mädchens zu sein.“
„Meinetwegen gehe zu ihm! Das beste bei der ganzen Sache ist, daß man den Hauser für den Pascherkönig hält. Wir werden einige Zeit lang mit allergrößter Sicherheit operieren können.“
„Das war ja eben meine schlaue Berechnung! Man wird natürlich annehmen, daß nun, wo der Anführer gefangen worden ist, die Pascher gar nicht daran denken können, etwas zu unternehmen.“
„Darum bin ich überzeugt, daß morgen alles auf das Prachtvollste gelingen wird. Und aus diesem Grund ärgerte ich mich, daß du gar nicht kamst!“
„Du brauchst mich doch nicht!“
„Sogar notwendig! Wir wollen morgen zwei Fliegen auf einen Schlag fangen, und zwar was für Fliegen! Da müssen wir alle Schlauheit anwenden. Die beiden anderen Waldkönige müssen benachrichtigt werden.“
„Der Schmied Wolf von Tannenstein?“
„Ja, und der Wagner Hendschel in Obersberg. Sie beide müssen zu gleicher Zeit operieren, damit sie die Grenzer auf sich ablenken.“
„Dann brauchen wir die beiden Boten.“
„Ja. Ich kann nicht zu ihnen; das ist deine Sache, und darum hätte ich gern gesehen, du wärst eher gekommen.“
„Es ist noch immer Zeit. Den Hundejungen hätte ich ja vor Mitternacht gar nicht zu Hause getroffen.“
„Hat er heute Tagschicht?“
„Ja. Er fährt erst morgen um Mitternacht an und hat also Zeit, nach Tannenstein zugehen. Ich werde ihm aber den Brotkorb höher hängen müssen. Am letzten Mal verlangte er zwei Gulden. Ist das nicht unverschämt?“
„Zwei Gulden? Also gerade noch einmal so viel!“
„Ja. Bis Tannenstein ist es vier Stunden zu gehen. Zwar ist es jetzt ein mühsamer Weg, denn der Schnee liegt über einen Meter hoch; aber wenn so ein Kerl sich in acht Stunden einen Gulden verdienen kann, so muß er seinem lieben Gott dafür danken.“
„So nimm ihn heute etwas schärfer an!“
„Das werde ich ganz sicher tun. Noch mehr zu schaffen macht mir Wilhelmi.“
„Der Musterschläger! Das glaube ich nicht!“
„Oh, er gehorcht mir nur widerwillig. Es hat den Anschein, als ob er mich bei Gelegenheit abschütteln will.“
„Das wird er sich nicht unterstehen. Du hast bereits davon gesprochen, und darum habe ich mir heute Mühe gegeben, ihn gefügig zu machen.“
„Was hast du getan?“
Seidelmann Senior erzählte, daß er die Muster nicht für Originale erklärt und infolgedessen dem Musterzeichner kein Geld gegeben habe.
„Das war klug gehandelt“, sagte sein Sohn. „Jetzt hat er nichts zu essen und wird gehorsam sein.“
„So kannst du aufbrechen, sonst geht er schlafen.“
„Der? Glaube das nicht! Er hat kein Geld; er will und muß leben; er wird also heute Nacht arbeiten; er wird ein neues Muster in Angriff nehmen.“
„Vielleicht hast du recht, und es ist besser, wenn du etwas später gehst.“
„Ich bin sogar dazu gezwungen. In der Schenke sitzen noch Leute. Hausers Arretur hat das ganze Nest in Aufruhr gebracht. Die Nachbarn stecken beieinander, um dieses Ereignis zu besprechen. Wie leicht kann ich einem begegnen. Ich muß warten, bis man nach Hause gegangen ist.“
Sein Vater gab das zu, und so legte Fritz eine Stunde später die Jacke und die Maske an. Er ging durch den Garten und stieg über den Zaun. Dann lauschte er. Es war kein Mensch zu sehen und zu hören. Er hielt sich möglichst in dem Schatten der Gebäude und begab sich zunächst nach einem Häuschen, welches neben demjenigen lag, in welchem der Musterzeichner Wilhelmi wohnte.
Auch hier gab es ein kleines Oberstübchen, welches ein blutarmer Teufel innehatte. Dieser hieß Schulze. Er war früher Hauer gewesen, hatte aber bei einem Einsturz des Stollens einen Arm verloren und konnte jetzt weiter nichts tun, als Hunde schieben.
Hunde heißen diejenigen vierrädrigen Karren, in denen in Bergwerken auf Schienen das Losgeschlagene transportiert wird. Einer, dessen Arbeit es ist, Hunde zu schieben, wird Hundejunge genannt.
Schulze hatte heute Tagschicht gehabt und kam infolgedessen erst nach Mitternacht nach Hause. Auch in seiner Wohnung sah es elend aus. Seine Frau saß bei einem Lämpchen am Klöppelsack und arbeitete. Auf einer harten Bank lag ein bleiches Kind, ein Mädchen,
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