63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes
Emilie. Das arme Mädchen hat ja auch monatelang mit in Untersuchung gesessen!“
„Das wird immer trauriger.“
„Es war zum Sterben, wie gesagt. Das Personal des Residenztheaters ging auf Gastreisen, und ich als Diener mußte mit. Während meiner Abwesenheit kam Lauras Stunde. Sie gebar einen Knaben. Sie fühlte sich von der Geburt fast gar nicht angegriffen: sie war stark und kräftig; aber das Kind war desto schwächlicher, wohl deswegen, weil sie sich bis zum letzten Augenblick, um ihren Zustand nicht merken zu lassen, sehr fest geschnürt hatte. Der Knabe war so schwach, daß er gar nicht schrie. Die Mitbewohner des Hauses merkten also nicht, daß ein neuer Erdenbürger angekommen war.“
„Und die Hebamme?“
„Man hatte keine geholt.“
„Aber warum nicht?“
„Aus falscher Scham. Die Geburt war so schnell und so glücklich vonstatten gegangen, daß keine Hilfe notwendig gewesen war, und dann, als Laura sah, daß das Kind wohl nicht fortleben werde, kam sie auf den unglücklichen Gedanken, gar niemandem etwas zu sagen.“
„Aber Ihre Frau mußte doch wissen, was das Gesetz in diesem Fall vorschreibt?“
„Meine Frau? Sie wußte ja gar nicht einmal, daß das Kind geboren war!“
„Wie ist das möglich?“
„Ach so! Sie wissen nicht, daß meine Frau nicht hört. Der Krebs hat ihre Ohren angegriffen. Vom Sehen war schon längst auch keine Rede mehr.“
„Das ist Unglück über Unglück!“
„Die Kleinen verstanden nichts, und Emilie, die Ältere von ihnen, ließ sich von den Bitten der Schwester betören. Sie sagte sich, daß das Elend in unserer Familie groß genug sei. Sie schwieg mit.“
„Aber Ihre Schwiegertochter, die doch bei Ihnen wohnt?“
„Die war damals noch nicht bei uns. Kurz und gut, das Kind starb nach einigen Tagen. Laura bettete es in eine alte Schachtel und schlich sich damit des Nachts nachdem Kirchhof. Dort wollte sie es begraben.“
„Welch unüberlegtes Beginnen!“
„Sie haben recht. Die Strafe folgte auch sofort. Es war ein Mann am Tag begraben worden, dessen Grab man noch nicht ganz zugeworfen hatte. Die Erde war locker. Laura grub ein Loch –“
„Mit den Händen?“
„Sie hatte die Kohlenschaufel mitgenommen. Sie grub also ein Loch in das neue Grab und legte die Schachtel hinein. Als sie es zumachen wollte, wurde sie angeredet –“
„Himmel! Von wem?“
„Sie wäre vor Schreck beinahe des Todes gewesen. Ein anderes Frauenzimmer stand hinter ihr. Was nun zwischen den beiden vorgekommen ist, muß für Laura schrecklich gewesen sein. Sie hat gestehen müssen, was sie hier beabsichtigte: sie hat ihren Namen nennen müssen; sie hat die andere um Gottes und des Himmels willen auf den Knien gebeten, sie nicht zu verraten, und diese hat es ihr endlich auch versprochen.“
„Wer ist diese andere denn gewesen?“
„Ja, wer das wüßte!“
„Nicht vielleicht die Totengräberin?“
„Nein.“
„Aber Ihre Tochter wird doch gefragt haben?“
„Leider nicht. In ihrer Seelenangst ist sie gar nicht auf diesen Gedanken gekommen. Sie ist dann fortgegangen und über die Kirchhofsmauer gestiegen.“
„Die andere mit?“
„Nein: diese ist in dem nächtlichen Dunkel verschwunden gewesen.“
„Wunderlich!“
„Am anderen Morgen hat die Polizei einen Brief erhalten, in welchem gestanden hat, daß die Laura Werner ein heimlich geborenes Kind ebenso heimlich an dem und dem Ort vergraben habe. Man hat nachgesucht und das Kind gefunden. Laura wurde verhaftet.“
„Das Kind ist doch jedenfalls untersucht worden?“
„Natürlich!“
„So haben die Ärzte doch finden müssen, daß es eines natürlichen Todes gestorben sei.“
„Nein, es war erwürgt worden.“
„Wieso denn?“ fragte Holm erstaunt. „Sie sagten doch, daß es an Schwäche gestorben sei?“
„Ja. Aber dieses Kind war erwürgt worden. Es hatte sogar noch die rote Gardinenschnur um den Hals.“
„Das begreife ein anderer, aber ich nicht!“
„Ich auch nicht. Und das Wunderbarste, nämlich das Kind war kein Junge, sondern ein Mädchen.“
„Unsinn!“
„O doch! Ein hübsches, allerliebstes, kräftiges Mädchen.“
„Wie könnte das möglich sein!“
„Sehr einfach, lieber Herr Holm: Es ist ja gar nicht das Kind meiner Tochter gewesen!“
„Hat man es denn an derselben Stelle gefunden?“
„An ganz derselben.“
„Wohl gar auch in derselben Schachtel?“
„Unglücklicherweise, ja.“
„Und Ihre Tochter hat zugeben müssen, daß sie diese Schachtel
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