63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes
bereits verheiratet, seine Frau mit ihren zwei kleinen Kindern habe ich auch noch bei mir.“
„Also fünf Kinder und zwei Enkel?“
„Ja.“
„Dann sind Sie allerdings nicht zu beneiden.“
„Wo wollte die Witwe hin? Sie war von auswärts und noch nicht ganz zwei Jahre hier wohnhaft. Hätte ich sie nicht zu mir genommen, so hätte sie fortgemußt. Sie ist eine fleißige, ordentliche Person. Sie hat gelernt, Seelenwärmer zu stricken, wissen Sie, das sind wollene Tücher, welche die Frauen um die Schultern und den Leib binden. Das hat sie Emilie, meiner zweiten Tochter, gelernt. Und nun arbeiten diese beiden Tag und Nacht, um mir unter die Arme zu greifen. Aber leider ist der Lohn so gering, daß er nicht zum trockenen Brot reicht.“
„Und die anderen Kinder verdienen nichts?“
„Nein.“
„Aber Sie sagten doch, daß Emilie Ihre zweite Tochter sei?“
„Allerdings!“
„Also haben Sie noch eine ältere Tochter?“
„Ja“, antwortete Werner zögernd, indem sich sein Gesicht augenblicklich verdüsterte.
„Ich meine, daß diese Tochter noch lebt?“
„Sie lebt noch.“
„Nun, so kann sie doch auch mitarbeiten und etwas verdienen helfen.“
Werner blickte einige Augenblicke lang vor sich nieder; dann sagte er, indem er schmerzlich aufseufzte:
„Das tut sie auch. Sie hat uns vor zwei Jahren einen Gulden geschickt und vor einem Jahre zwei Gulden. Vielleicht bekommen wir wieder etwas!“
„Drei Gulden in zwei Jahren? Das ist wenig. Was arbeitet sie denn da?“
„Sie näht Gorl.“
„Das ist Perlenzeug.“
„Ja.“
„Aber da muß sie doch mehr verdienen?“
„Nein, mein bester Herr Holm. Sie verdient so wenig, daß es mir trotz der Not, in welcher ich stecke, lieber wäre, wenn sie mir nichts, gar nichts schickte. Aber die gute Seele will doch auch zeigen, daß sie unser Kind ist.“
„Ist sie denn nicht bei Ihnen?“
„Nein.“
„Also auswärts?“
„Ja. Wissen Sie denn nicht, wo sie ist?“
„Nein, gar nichts weiß ich.“
„Ich glaubte, es Ihnen bereits gesagt zu haben!“
„Kein Wort!“
„Ja, man spricht natürlich nicht davon. Aber es sollte mich doch wundern, wenn Sie nichts davon gehört oder gelesen hätten. Damals waren ja alle Zeitungen von diesem traurigen Ereignis voll.“
„Sie müssen sich erinnern, daß ich jahrelang nicht in der Heimat gewesen bin.“
„Aber dann, dann kann man davon gesprochen haben?“
„Auch nicht. Ich habe überhaupt mit niemandem von Ihnen oder den Ihrigen gesprochen. Was Ihnen als Einzelperson höchst wichtig sein kann, das verschwindet ja im Leben einer so großen Stadt.“
„Ja, ja. Und das ist ein großes Glück. Ich konnte ja nichts, gar nichts dafür, aber dennoch hätte es mich beinahe um meine Stelle gebracht. Der Intendant wollte mich entlassen, ohne Gnade und Barmherzigkeit, aber der Direktor, der überhaupt der einzige Brave der ganzen Residenztheaterverwaltung ist, brachte es so weit, daß ich doch noch bleiben durfte.“
„So war es also etwas – etwas Ungutes, was sich damals ereignete?“
„Ungut, sagen Sie? Es war mehr, viel mehr. Es war so traurig, daß ich beinahe vor Herzeleid gestorben wäre.“
Vorhin hatte er vor Freude geweint; jetzt wischte er sich die Tropfen weg, welche ihm der Schmerz der Erinnerung auspreßte. Das tat Holm weh. Er sagte in teilnehmendem Ton:
„Lassen wir das! Brechen wir von diesen Gegenstand ab! Bitte, denken Sie nicht daran! Es stimmt Sie traurig, und das können wir vermeiden!“
„Recht haben Sie!“ seufzte der Theaterdiener. „Es ist besser, man versucht es zu vergessen; aber leider vergißt es sich nicht. Man wird tausend- und tausendmal daran erinnert; es läßt einem keine Ruhe; es geht mit einem schlafen, es steht mit auf, es setzt sich mit einem zu Tisch und vergällt einem das trockene Brot, mit welchem man den Hunger stillt. Und doch tut es einem wohl, zu einem mitleidigen Menschen davon zu sprechen. Ein teilnehmendes Wort ist wie Balsam auf die Wunde. Und die Laura hat dieses Schicksal doch nicht verdient. Ich gebe meinen Kopf zum Pfand, daß sie es nicht getan hat!“
„Was?“
„Ach so. Sie wissen es nicht! Nun, erschrecken Sie nicht, mein guter Herr Holm – meine Tochter ist in Rollenburg.“
„In Rollenburg? Herrgott! In der Irrenanstalt?“
„Nein, sondern, sondern –“
Er stockte. Es fiel ihm so sehr schwer, das böse Wort auszusprechen.
„Nicht im Irrenhaus, also im – im – Sie wollen doch nicht sagen, daß sie gefangen
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