65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
offenen Nebenzimmer saßen, von ihm unbemerkt, mehrere Herren, welche der Verhandlung zuhören wollten.
„Herr Mehnert“, sagte der Assessor im zutraulichsten Ton, „es ist mir da ein ganz eigentümlicher und heikler Fall passiert, den ich nur mit Ihrer Hilfe werde erledigen können. Ich habe mir daher gestattet, Sie für kurze Zeit zu mir zu bitten.“
Diese Einleitung bewirkte, daß dem jungen Menschen der Kamm gewaltig schwoll. Er antwortete:
„Ich stehe gern zu Diensten. Sagen Sie mir nur, um was es sich handelt.“
„Um ein anonymes Schreiben, welches einer unserer Obergendarmen heute früh erhalten hat. Er stellte es mir zu, um die Sache zu untersuchen. Hier sind die Zeilen. Lesen Sie sie einmal durch und sagen Sie mir dann, was Sie davon denken!“
Mehnert las seine eigene Schrift und sagte dann, wichtig den Kopf schüttelnd:
„Hier handelt es sich wohl nur um eine Mystifikation?“
„Das dachte ich allerdings zunächst auch, aber es war doch meine Pflicht, nachzuforschen, und da fand ich – ah, ich soll eigentlich nicht davon sprechen; aber Sie sollen mich ja aus der Verlegenheit ziehen, und so darf ich Ihnen wohl ganz unbesorgt ein wichtiges Amtsgeheimnis anvertrauen!“
„Natürlich! Es soll mir niemand ein Wort darüber entlocken!“
„Gut! Also denken Sie sich, ich fand, daß die Schatulle der Baronin wirklich leer ist!“
„Was Sie sagen!“
„Es ist entsetzlich!“
„Wer mag der freche Täter sein?“
„Wer? Sie vergessen, daß hier Namen genannt sind.“
„Das sind Ehrenmänner!“
„Ich dachte es bisher auch; aber ich folgte natürlich dem mir hier gegebenen Rat und habe bei den beiden Mädchen wirklich zwei Ringe gefunden, welche zu dem gestohlenen Geschmeide gehören.“
„O weh! Wer hätte das gedacht!“
„Jawohl! Sie haben gewiß auch keine Ahnung gehabt, warum Sie zu mir kommen sollen?“
„Nicht die geringste.“
„Das läßt sich denken. Es tut weh, in Leuten, denen man so lange Zeit sein vollstes Vertrauen geschenkt hat, so raffinierte Diebe zu entdecken. Am meisten aber schmerzt es mich, daß sie trotz aller Beweise doch sich aufs Leugnen legen.“
„Sie leugnen? Und haben doch die gestohlenen Ringe an ihre Bräute geschenkt?“
„Ja.“
„Das ist freilich frech!“
„Sie geben zu, ihren Mädchen die Ringe geschenkt zu haben, behaupten aber, sie nicht gestohlen, sondern gekauft zu haben.“
„Unglaublich!“
„Und zwar wollen sie sie von Ihnen gekauft haben.“
„Von mir? Das möchte ich mir doch verbitten!“
„Sind sie denn bei Ihnen gewesen oder nicht?“
„Sie waren da, alle beide, gestern kurz nach Mittag. Sie bestellten die Trauringe und kauften zwei Ringe mit Alenconer Bergkristall, zu zehn Gulden das Stück.“
„Aber die beiden bei den Mädchen gefundenen Ringe haben echte Diamanten!“
„So sind sie nicht von mir!“
„Hier sind sie. Sehen Sie sich dieselben einmal an.“
Mehnert betrachtete sich die beiden Ringe und sagte dann:
„Das sind echte Diamanten. Solche Ringe habe ich nie gehabt.“
„Die Ringe sind also nicht von Ihnen?“
„Nein.“
„Die beiden Angeschuldigten wollen es aber beschwören.“
„Das können sie nicht.“
„Wenn sie es aber dennoch tun?“
„So schwören sie falsch.“
„Sie würden trotzdem daraufhin verurteilt werden. An Ihnen wäre es, zu beweisen, daß die beiden ganz andere, wertlose Ringe bei Ihnen gekauft haben.“
„Das kann ich; das kann ich!“
„Wieso?“
„Ich habe mir von ihnen einen Revers unterschreiben lassen, daß die Ringe, welche sie von mir gekauft haben, unecht sind. Und ferner besitze ich die Zeichnung der beiden Ringe, welche sie von mir gekauft haben. Man suche nur recht genau bei ihnen aus, so bin ich überzeugt, daß man meine Ringe bei ihnen finden wird.“
„Diesen wohlgemeinten Wink werde ich beachten. Also Sie sind im Besitz des Revers und der Zeichnungen?“
„Ja. Ich habe sie mitgebracht.“
Der Assessor sagte in höchst vertrauensvollem, freundschaftlichem Ton zu ihm:
„Lieber Mehnert, das eilt ja nicht so sehr, das hätte recht gut Zeit gehabt bis später.“
„O nein! Wo es sich um meine Ehre handelt, da versäume ich keinen Augenblick. Ich habe Revers und Zeichnung mitgebracht, damit Sie keine Minute lang an meiner Rechtschaffenheit zweifeln sollen.“
Noch ebenso freundlich fragte der Assessor:
„Das ist sehr gut, sehr gut! Sie brachten sie also mit, um mich sogleich von Ihrer Unschuld zu überzeugen?“
„Ja,
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