65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
unsere Gegenwart kann hier auffallen.“
„Wir brauchen ja nicht bis Mitternacht hier zu bleiben. Es ist heute im Freien so schön, daß wir uns draußen irgendwo hinlegen können.“
„Ganz recht. Also spielen wir eine Weile und dann gehen wir.“
Das geschah. Als es zehn Uhr geschlagen hatte, entfernten sie sich und zwar begaben sie sich in die Nähe der Linde.
Es war still und einsam da. Sie konnten im Dunkel des Abends nicht gesehen werden. Jetzt probierten sie, ob sie im Inneren des Baumes Platz fanden. Es ging; aber die Stellung, welche sie dabei einzunehmen hatten, war so unbequem, daß sie in derselben nicht bis zur Ankunft des Erwarteten verharren konnten. Sie setzten sich darum auf den Rasen, welcher den Stamm umgab, und horchten lautlos auf jedes an ihr Ohr dringendes Geräusch.
Endlich, kurz vor Mitternacht, hörten sie von der Straße her nahende Schritte und sofort krochen sie in die Höhlung. Ein Mann kam und setzte sich gerade dahin, wo sie vorher gesessen hatten. Einige Minuten vergingen; dann hörte man abermals Schritte. Ein zweiter kam. Er trat herbei und grüßte.
„Sind Sie schon lange hier?“ fragte er.
„Nein; kaum fünf Minuten.“
„Sind Sie vielleicht in der Umgegend gesehen worden?“
„Gott bewahre. Ich bin zwar bereits am Nachmittage hier angekommen, denn ich habe einen wirklichen Parforcemarsch gemacht, aber ich bin auf Schleichwegen gegangen und habe mich stets im Wald gehalten.“
„Das ist sehr gut. Man braucht Sie natürlich nicht zu sehen.“
„Wie steht es mit dem Geld? Haben Sie es erhalten?“
„Noch nicht; aber der Bankier telegraphierte mir, daß ich es morgen am Vormittag bekommen werde. Sie brauchen keine Sorge zu haben. Sie bleiben ja bei mir und werden es also sofort erhalten.“
„Das hoffe ich. Gehen wir jetzt?“
Sie entfernten sich. Die beiden Lauscher krochen aus dem Baum und folgten ihnen.
„Das war verteufelt wenig, was sie sprachen“, meinte Holm leise. „Ich hatte geglaubt, Wichtigeres zu hören.“
„Ich auch; aber vielleicht sind wir so glücklich, noch mehr zu erfahren.“
„Wohl kaum. Sie begeben sich in das Schloß. Da können wir nicht horchen. Jedenfalls aber wissen wir das eine, daß dieser Freiherr einen polizeilich verfolgten Verbrecher bei sich aufnimmt. Das ist genug, ihn zur Anzeige zu bringen. Lassen wir sie nicht aus den Augen.“
Es war zwar dunkel, aber doch nicht so sehr, daß man die beiden Voranschreitenden nicht hätte bemerken können. Sie gingen nicht auf der harten Straße, sondern auf einem weichen Wiesengrund dem Schloß zu. Das dämpfte die Schritte, und so war es Holm und Robert möglich, nahe hinter ihnen zu bleiben.
Der Freiherr ging mit seinem heimlichen Gast am Haupteingang des Schlosses vorüber, bis an den dahinterliegenden Ausläufer des Waldes, so daß sie sich dem Gebäude von der Giebelseite desselben näherten.
Zwischen Schloß und Wald standen hier eine Anzahl alter Obstbäume, unter deren dichten Kronen es vollständig dunkel war. Das machte es den Verfolgenden möglich, sich ganz hart hinter den beiden zu halten. Diese letzteren blieben für einen Augenblick stehen und der Freiherr sagte:
„Es schläft alles, und nur meine Tochter wacht.“
„Wohl da droben hinter dem einzigen erleuchteten Fenster?“
„Ja. Das ist die Stube, welche für Sie bestimmt ist. Da werden Sie wohnen, bis sie die Gegend in Sicherheit mit den Ihrigen verlassen können. Kommen Sie!“
Er führte ihn nach einem der hinteren Eingänge, den sie hinter sich verschlossen. Holm und Bertram waren ihnen bis hierher gefolgt.
„Da stehen wir nun“, sagte der erstere. „Es ist unmöglich, etwas Weiteres zu hören.“
„Hm! Vielleicht doch! An einem der Obstbäume lehnte eine Leiter. Könnten wir diese nicht benutzen? Sie werden sich jedenfalls nach dem Zimmer begeben, von welchem sie sprachen. Dort ist auch die Tochter des Freiherrn. Wir legen die Leiter an das Fenster und werden vielleicht hören, was sie sprechen.“
„Wollen es wenigstens versuchen.“
Sie kehrten nach dem Obstplatz zurück und trugen die Leiter an die Giebelmauer, wo sie sie leise anlegten. Holm stieg voran, kam aber sogleich wieder zurück. Er sagte:
„Ich bemerke da etwas für uns sehr Vorteilhaftes. Nur müßten wir ein wenig verwegen dabei sein. Haben Sie Mut?“
„Ich denke! Aber wozu?“
„Neben dem erleuchteten Zimmer befindet sich ein zweites, finsteres, dessen Fenster geöffnet ist. Wenn wir da hineinsteigen, können wir
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