65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
Nur eins will ich Ihnen noch sagen: Nämlich, ich gehe jetzt und verbiete Ihnen, mir zu folgen! Laufen Sie mir dennoch nach, so mache ich von meinen zwei Messern Gebrauch. Merken Sie sich das!“
„Hund! Ich werde dir nachlaufen bis ans Ende der Welt. Ich will mein Geld haben, mein Geld!“
„Wage es doch! Versuche es doch! Leb wohl, alter Sünder! In der Hölle sehen wir uns wieder.“
Er wendete sich zum Gehen, aber im Nu hatte ihn Seidelmann beim Arm.
„Halt!“ rief er. „Nicht fort! Keinen Schritt weiter!“
Da drehte der Apotheker sich wieder um, erhob den Arm zum Stoß und drohte:
„Laß los – sonst –!“
Seidelmann ließ wirklich los und stieß einen Ruf des Schreckens aus. Sein Auge war auf die Tür gefallen, unter welcher jetzt der Förster erschien. Der Apotheker aber, welcher der Tür den Rücken zukehrte, glaubte, er selbst sei es, der ihm solchen Schreck verursacht habe. Er lachte höhnisch auf und sagte:
„Da hat man die feige Memme! Erst droht sie, und im nächsten Augenblick zittert sie vor Angst. Seidelmann, dich holt der Teufel noch lange nicht; du bist ihm zu armselig. Da kann er mich viel besser und eher gebrauchen.“
„Darum holt er dich jetzt!“ erklang es hinter ihm.
Er fuhr herum, ließ das Messer fallen und fuhr so weit zurück, daß er fast in den Schacht gestürzt wäre. Der Förster war hereingetreten. Er hielt das Gewehr in der einen Hand ‚bei Fuß‘ und in der anderen die Laterne, welche er draußen angebrannt hatte, ohne daß es die beiden im Inneren bemerkt hatten. Über seine beiden Achseln ragten die Gewehrläufe seiner zwei Begleiter, welche hinter ihm standen, herein.
„Heiliger Gott!“ stieß der Apotheker hervor.
„Ruf den Himmel nicht an, nachdem du gesagt hast, daß dich der Teufel braucht, Schurke!“ donnerte ihm Wunderlich entgegen.
„Wer sind Sie? Was wollen Sie?“ fragte Horn dennoch.
„Der Teufel bin ich, und dich will ich, Giftmischer! Halt, keinen Schritt vor! Laß das Messer liegen. Sobald du Gegenwehr versuchst, bekommst du eine Kugel!“
Und sich an den frommen Schuster wendend, sagte er:
„Guten Morgen, mein verehrtester Herr Seidelmann! Was gibt mir denn die Ehre Ihrer Anwesenheit? Wollen Sie vielleicht wieder einmal Kirche halten im Saal der Schenke?“
Der Gefragte antwortete nicht.
„Da mag nur Ihre liebe Familie wieder für samtene Sesseln sorgen, damit die Herrschaften hübsch weich sitzen! Wo ist denn eigentlich das Geld hingekommen, welches damals eingesammelt wurde?“
„Verteilt“, stieß der Gefragte hervor.
„Ach so! Man hat aber leider nichts davon bemerkt. Und was ist aus den sechstausend Gulden geworden, welche Sie damals im Auftrag der Brüder und Schwestern der Seligkeit hier im Gebirge verteilen sollten, um das Elend, welches bei uns herrschte, zu mildern?“
„Verteilt“, erklang es wieder.
„Wunderbar! Auch verteilt! Und abermals hat kein Mensch etwas davon bemerkt. Sie werden Gelegenheit bekommen, es zu beweisen, hochehrwürdigster Schuster! Man ist sehr begierig, Sie zu sehen und Ihnen die ehrerbietigste Hochachtung zu erweisen, besonders in der Residenz. Sie haben doch die Güte, uns zu begleiten?“
„Ich habe mit Ihnen nichts zu schaffen!“
„Aber wir mit Ihnen. Und zur Erleichterung eines intimen Verkehres habe ich einige gute Riemen und feste Schnüre mitgebracht. Sie sind meine Gefangenen!“
Der Apotheker hatte sich noch nicht von der Stelle bewegt. Seidelmann stand so, daß nicht gut auf ihn gezielt werden konnte. Die zwei Laternen verbreiteten jetzt eine größere Helle als vorhin die eine, und bei diesem Schein sah er, daß zwei ganz morsche Bretter der Wand nur ganz lose noch zusammen hingen. Ein Gedanke der Rettung durchzuckte ihn. Nur hinaus in die finstere Nacht! War er draußen, so fand man ihn sicherlich nicht wieder. Er sah den Hund nicht, welcher hinter den drei Männern stand.
„Ich, Ihr Gefangener?“ rief er. „Noch nicht!“
Er tat einen Sprung vorwärts und prallte so an die Bretterwand, daß die morschen Hölzer hinausflogen. Es entstand eine genügend große Öffnung für ihn. Im Nu war er hindurch und hinaus.
Wilhelmi war beim Sprung des Schusters schnell weiter herein getreten, um auf ihn schießen zu können. Er hätte ihn auch sicher getroffen, aber der alte Förster hielt ihn davon ab, indem er lachend sagte:
„Lassen Sie ihn laufen! Wir dürfen ihn nicht erschießen; wir müssen ihn lebendig haben! Passen Sie aber hier auf den Giftmischer auf.
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