69 - Der Weg zum Glück 04 - Die Rivalen
begreifen?“
„Ich nicht.“
„Ich auch nicht.“
„Ja, wer soll es dann begreifen, wann du selbst es nicht begreifst.“
„Das weiß ich nicht.“
„Ich weiß es noch viel weniger. Vielleicht hast mehr gehabt als nur hundertvierzig Mark.“
„Mehr? O nein! Das kommt bei mir gar nie vor, daß ich mehr hab, als ich denk.“
„Aber wie soll es hineinkommen sein!“
„Wenn ich das wüßt, da wär ich ein gescheiter Kerlen. Es ist ein Wunder. Ich muß doch mal zählen.“
Als er nun genau nachzählte, stellte es sich heraus, daß er gegen neunzig Mark mehr hatte. Er schüttelte den Kopf und blickte seine Mutter an, und sie schüttelte den Kopf und schaute ihn an. So sahen sie sich eine ganz Weile kopfschüttelnd an und machten dabei keineswegs sehr geistreiche Gesichter.
„Ludwig!“ seufzte sie.
„Mutter!“ antwortete er.
„Ist's denn wirklich wahr, daßt nicht so viel habt hast?“
„Gewiß und wahrhaftig.“
„Kannst dich aber doch irren!“
„Nein. Wann man eine gewisse Summe so lange Zeit besitzt, so ist kein Irrtum möglich. Und als ich euern Brief bekam, hab ich's wieder zählt, obgleich es nicht nötig war, und mir sagt, daß dies für eine Kuh nicht ausreichen werde. Darum hab ich dann die Uhr in der Stadt versetzt. Und bevor ich fortfuhr von hier, hab ich nochmal nach dem Geld sehen. Es ist indessen mehr worden.“
„Am hellen, lichten Tag?“
„Ja.“
„Wunderbar!“
„Warum soll es grad am Tag wunderbar sein?“
„Wann's des Nachts wär, so könnt man sich's derklären.“
„So? Inwiefern denn wohl?“
„Eine gute Fee könnt's bracht haben. Die kommen nur des Nachts, niemals aber am Tag.“
„Weißt das so genau?“
„Ja, ganz genau.“
„Hast etwa eine sehen, die zu dir kommen ist?“
„Nein. Zu mir ist noch keine kommen. Aber hört hab ich sehr viel davon.“
„Das sind Märchen. Es gibt gar keine Feen.“
Die Mutter machte ein sehr erschrockenes Gesicht, hob warnend den Finger empor und sagte:
„Du, wast da redest, das ist eine Sünden! Das darf man nicht; das ist verboten!“
„Meinst? Wo ist's denn verboten?“
„Das weiß ich freilich nicht. Aber dennoch ist's eine Sünden, wenn man nicht glaubt, daß es so gute Wesen gibt, die denen Menschen zuweilen eine Lieb erweisen und ihm ein Glück bringen.“
„Ja, solche Wesen gibt's. Das sind die heiligen Engel. Aber von denen Feen steht in der heiligen Schrift nix schrieben.“
„Das ist auch nicht notwendig. Weißt, als ich mal hier war und auch des Abends hierblieben bin, da hat die Gisela aus einem schönen Buch mehrere Gedichte vorgelesen. Das war des Abends, als der Bauer ins Wirtshaus gangen ist. Und da war auch eins dabei, in dem von den Feen die Red gewest ist. Also muß es doch welche geben, wann die Dichter solcherlei Gedichten über sie machen.“
„Das ist das Buch, welches da oben über der Tür liegt. Ich kenn das Gedichten auch noch. Aber da steht gar nicht darinnen, daß es wirkliche Feen gibt.“
„O doch. Ich hab's mir ganz gut merkt.“
„So werd ich's dir gleich mal bringen.“
„Aber wann der Bauer dazu kommt!“
„Was könnt der dagegen sagen? Er kommt auch gar nicht. Wann er zu Mittag gessen hat, so schlaft er allemal bis dahin, wann der Kaffee trunken wird. Der wird uns also gar nicht stören.“
Er ging zur Tür, nahm das betreffende Buch von dem über derselben befindlichen Brett herab, kam mit ihm zurück und schlug das Gedicht auf.
„Hier ist's“, sagte er. „Die Bäurin liest's auch gern, besonders wann mal was passiert ist, was Frohes, was sie sich nicht anders derklären kann als dadurch, daß es gute Geistern gibt, die an denen braven Menschen ein Wohlgefallen haben. Sollst's gleich hören.“
Er las vor:
„Es gibt so wunderliebliche Geschichten,
Die bald von Engeln, bald von Feen berichten,
In deren Schutz wir Menschenkinder steh'n,
Man möchte gern den Worten Glauben schenken
Und tief in ihren Zauber sich versenken,
Denn Gottes Odem fühlt man daraus weh'n.
So ist's in meiner Kindheit mir ergangen,
In welcher oft ich mit erregten Wangen
Auf derlei Erzählungen gelauscht.
Dann hat der Traum die magischen Gestalten
In stiller Nacht mir lebend vorgehalten,
Und ihre Flügel haben mich umrauscht.
Fragt auch der Zweifler, ob's im Erdenleben
Wohl könne körperlose Wesen geben,
Die für die Sinne unerreichbar sind,
Und glaub an Gottes unerforschlich Walten
Wie ich's vertrauensvoll geglaubt als Kind.“
Als er nun das Buch schloß, um es an seinen
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