72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen
es.“
„So wollt ich, ich hätt auch so eine Gurgel!“
„Das würde Ihnen nichts nützen“, lachte der Herr. „Man singt nicht mit der Gurgel.“
„Womit denn?“
„Mit der Kehle, dem Kehlkopf.“
„Ich hab denkt, mit der Gurgel!“
„Da schlingt man.“
„So hab ich halt Schlingen und Singen verwechselt. Aber jetzt bin ich neugierig, was die Leni machen tut. Ob sie herabkommt?“
„Das glaube ich nicht.“
„Warum?“
„Sie wird die alte Erinnerung auffrischen und oben bleiben wollen.“
„Das geb ich nicht zu.“
„Wollen Sie es ihr verbieten, oben zu bleiben?“
„Nein; aber ich werd sie bitten, herabzukommen. Ich steig sogleich aufi.“
„Sie werden umsonst steigen.“
„Meinen Sie?“
„Ja. Ich kenne sie. Es ist ihr jedenfalls ein Herzensbedürfnis, wieder einmal da droben allein zu sein. Da läßt sie sich nicht gern stören.“
„Ach was, stören! Ich bin nicht gern allein und niemand ist gern allein. Sie muß herab!“
„Lassen Sie sie oben.“
„Nein, nein! Ich steig aufi!“
„So lassen Sie wenigstens mich an Ihrer Stelle gehen!“
„Meinen 'S denn, daß sie auf Sie mehr hört, als auf mich?“
Das klang fast, als ob er sich in diesem Fall beleidigt fühlen würde.
„Das will ich nicht sagen; aber ich glaube, daß ich die Worte eher finden würde als Sie.“
„Ach so! Ja, jodeln kann ich schon, aber schöne Worte machen, das bring ich halt nicht fertig. Die Leni muß herab. Die guten Warschauers sind auch da; mir und denen würd's eine gar große Freud bereiten.“
„So will ich hinauf, um es zu versuchen.“
„Ja. Oder halt! Nicht Sie allein, sondern ich steig mit. Ich will mir die Ehre nicht nehmen lassen, meine frühere Sennerin selbst willkommen zu heißen.“
„So kommen Sie!“
„Ja gleich! Aber ihr müßt hier sitzen bleiben! Daß ihr ja nicht fortgeht!“
Diese Worte waren an das alte Ehepaar gerichtet. Der Mann antwortete:
„Hab keine Angst, Bauer. Wann die Leni da ist, so reißen wir nicht aus.“
„Und wann ich noch so lang oben bleib, so bleibt ihr hier sitzen. Trinkt nur weiter fort! Ich werd alles zahlen.“
Er eilte dem Grafen nach, welcher rasch vorausging. Diesem war jedenfalls der Gedanke, die Sennerin zu stören, nicht lieb. Noch unlieber aber war es ihm, daß er, da sie nun doch einmal geholt werden solle, nicht allein zu ihr gehen durfte.
Natürlich ließ er sich davon nichts merken. Er war mit dem Bauern so freundlich wie vorher, und bald zeigte es sich, daß ihm die Begleitung desselben nicht ganz nutzlos sei. Und zwar erstens in Beziehung des Weges, den er nicht kannte, und zweitens in Beziehung auf die einstige Sennerin, von welcher der einfache Mann dem Aristokraten ein Bild entwarf, welches gar nicht anmutender und sympathischer sein konnte.
Das geschah während des Aufsteigens.
„Und nun möcht auch ich noch etwas wissen“, fuhr der Bauer im Gespräch fort. „Wann Sie die Leni kennen, so werden Sie es wissen – was ich meine, und das müssen Sie mir sagen: Hat die Leni einen Schatz?“
Diese Frage war so gradaus und kräftig, daß der Graf fast über dieselbe erschrak. Er wußte nicht sogleich zu antworten und gegenfragte also:
„Was verstehen Sie unter einem Schatz?“
„Das wissen 'S nicht?“
„So genau nicht. Wir haben da wohl andere Ausdrücke, deren wir uns bedienen.“
„Ja, bei denen feinen Leutln heißt eben alles anderst. Da heißt ein Wagen eine Chaise, ein Schreiber ein Aktuar, und ein Spitzbub ist ein Politikus. Wir aber sagen's, wie es ist. Einen Schatz nennen wir denjenigen Buben, der zu seinem Dirndl ans Fenster darf.“
„Wohl auch hinein?“
„Ja, wenn sie denken, daß sie von den Alten nicht derwischt werden, steigt er auch eini.“
„In diesem Sinn hat sie freilich keinen.“
„So! In welchem Sinn denn?“
„In gar keinem Sinn. Sie ist noch frei.“
„Das wundert mich. So ein bildsauberes Dirndl. Mag sie denn keiner?“
„Sie scheinen anzunehmen, daß ein Mädchen unbedingt einen Anbeter haben muß, und daß es für sie eine Schande ist, wenn sie keinen hat?“
„Fast ist's so. Bei uns hat fast jede den ihrigen. Jetzunder sehen 'S sich leider bereits als Schulbuben nach einem Dirndl um. Aber einen Anbeter gibt's bei uns freilich nicht. Anbetet wird keine.“
„Das Wort ist hier auch nicht so im eigentlichen Sinn zu nehmen.“
„Ja, bei uns küßt man das Dirndl; man schwenkt sie im Saal herum, aber anbeten tut man sie nicht. Also die Leni hat wirklich gar
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