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72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen

72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen

Titel: 72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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auf, als sei er elektrisiert worden.
    „Sapperment! Was ist das für eine Stimme!“ rief er aus. „Auch in den Worten liegt gleich eine Schneid. Er soll seine Großmutter küssen, anstatt die Sennerin. So was könnt nur Leni früher machen. Wer mag das Dirndl sein!“
    Er legte die Hände über die Augen und sah scharf hinauf. Den Kopf schüttelnd, meinte er:
    „Ich bring's halt nicht weg. Ob die Nachbarin so eine Stimm hat! Da hätt ich's aber doch früher hört. Ich muß sie nur gleich mal ansingen!“
    Er trat wieder vor und sang hinauf:
    „Dein Lied ist nicht übel,
Dein Mäulchen, das beißt;
Drum sing halt nur weiter,
Und sag, wie du heißt!“
    „Nun, wann's eine richtige Dirn ist, muß sie antworten!“ sagte er. „Und wir werden gleich hören, ob's eine fesche ist oder nicht.“
    Der Graf hatte den Vorgang mit großem Interesse beobachtet. Jetzt nahm er den Feldstecher her, den er als Tourist an einem Riemen über die Achsel hängen hatte. Er richtete ihn nach der Alm empor und blickte hindurch. Mit einem glücklichen, befriedigten Lächeln ließ er das Glas wieder sinken.
    Die Sennerin aber antwortete jetzt:
    „Schau aufi, schau obi,
Und blick mir ins Gesicht,
Und bist du ein Tolpatsch,
So erkennst du mich nicht!“
    Und darauf erfolgte ein Jodler, wie er hier in diesem Teil der Welt noch niemals gehört worden war.
    Früher hatte man die Muren-Leni für die beste Jodlerin, ja für eine Meisterin gehalten. Aber was war das gegen jetzt. Alle die unten Sitzenden sprangen auf und lauschten dem Gesang mit angehaltenem Atem, bis der letzte Triller verklungen war.
    „Die Leni, die Leni!“ rief der Kapellenbauer ganz entzückt.
    „Ist's wahr? Ist's wahr?“ fragte die alte Warschauerin.
    „Gewiß! Es ist keine andere. Nur die Muren-Leni kann so etwas fertigbringen.“
    „Wie kommt die denn da hinaufi?“
    „Hinaufstiegen ist's halt!“
    „Das weiß ich auch!“
    „Aber daß sie mich nicht aufsucht hat!“
    Da erklärte der Graf:
    „Vielleicht hat sie ihre alte Alm vorher ganz ungestört aufsuchen wollen.“
    „Ja, ja, so wird's halt sein, denn ein gutes und tiefes Gemüt hat das Dirndl. Ich muß sie nur wieder ansingen.“
    Er sang und sie antwortete. Das war ein Brillantfeuerwerk aus Tönen zusammengesetzt. Es verscholl durch das Tal, daß die Leute aus den Häusern traten und entzückt emporblickten.
    Da trat die Sängerin ganz vor an den Felsenrand und winkte ihm schweigend zu.
    „Ich weiß, was sie will“, rief er. „Paßt auf! Jetzt kommt mein Lieblingslied!“
    Er hatte recht, denn wie der Klang einer gewaltigen Vox-Humana-Stimme der Orgel ertönte es von oben herab:
    „Allweil lustig, frisch und munter.
Denn der Bayer läßt nit aus!
Geht die Welt gleich morgen unter,
Machen wir uns gar nix draus.
Jeder, der uns zuhört singen,
Sagt, das sind gar nette Leut,
Bei jedem Jodler möcht man springen;
Ja, in Bayern gibt's halt Schneid.
Allweil lustig, frisch und munter,
Denn die Bayern gehn nit unter!“
    Sie hielt auf, denn sie wußte von früher her, daß der Bauer nun seine Stimme hören lassen werde. Er sang:
    „Auf den Bergen und den Almen
Geht es allweil lustig zu.
Bei den Kühen, bei den Kalben
Jauchzt so gern der Hirtenbu.
Wann der Jäger voller Schneid
Auf die Alma aufisteigt
Und die Sennerin voller Freud
Ihm die roten Wangerln zeigt.
Allweil lustig, frisch und munter,
Denn die Bayern gehn nit unter!“
    Und nun erschallte die letzte Strophe von oben herab:
    „Auf die Nacht dann uma neune
Läutet's bei uns zum Gebet,
Wenn man dann so ganz alleine
Droben auf dem Berge steht.
Oh, wie hebt sich fromm das Herz,
Wenn das Klosterglöcklein klingt
Und die Nachtigall voll Schmerz
Ihre Klagelieder singt.
Allweil lustig, frisch und munter,
Denn wir Bayern gehn nit unter!“
    Der Text dieses Liedes war ganz wertlos. Ein Dichter oder Kenner der edlen Dichtkunst hätte mitleidig die Achseln gezuckt. Aber die Melodie war für diese Leute die Hauptsache, und die war freilich herrlich, besonders da man sie aus einem solchen Mund hörte.
    Als die Leni geendet hatte, trat sie zurück und ging in die Sennerhütte hinein.
    „Sie will nicht mehr singen“, meinte der Bauer. „Das ist schad, jammerschad!“
    „Ich verdenke es ihr nicht“, sagte der Graf. „Wissen Sie, wieviel sie in Wien ausgezahlt erhalten würde, wenn sie auf einem Konzert das sänge, was sie jetzt gesungen hat?“
    „Nein. Wieviel?“
    „Tausend Gulden.“
    „Herrgott! Das ist nicht wahr!“
    „Es ist wahr. Ich weiß

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