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Der Archipel in Flammen

Titel: Der Archipel in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Erstes Kapitel.
Schiff in Sicht.
    Am 18. Oktober 1827, in der fünften Stunde nachmittags, kämpfte ein kleines Schiff aus der Levante scharf gegen den Wind, um vor Nacht noch den Hafen Vitylo an der Einfahrt zum Golfe von Koron anzulaufen.
    Dieser Hafen, das Detylos Homers, liegt in einer jener drei tiefen Einbuchtungen, die am Ionischen und am Aegäischen Meere jenes Platanenblatt aus dem Festlande herausschneiden, mit welchem man das südliche Griechenland sehr zutreffend verglichen hat. Auf diesem Blatte entfaltet sich der Peloponnesos des Altertums, das Morea der neuen Geographie. Der erste dieser Einschnitte ist der Busen von Koron zwischen Messenien und Magnos; der zweite der Busen von Marathon, der tief in das Gestade des rauhen Lakonien hineinreicht; der dritte der Meerbusen von Nauplia, dessen Gewässer das ebengenannte Lakonien von Argolis trennen.
    Zu dem ersten dieser drei Meerbusen gehört der Busen von Vitylo. An der Ostküste, im Hintergrunde einer unregelmäßigen Bai, ausgebuchtet, reicht er bis zu den vordersten Ausläufern des Taygetos, dessen orographische Verlängerung das Skelett der als Magnos bezeichneten Landschaft bildet. Durch seinen sichern Ankergrund, durch die Richtung seiner Zufahrten, durch die ihn umschließenden Höhen wird er zu einem der besten Zufluchtsstätten an einer von allen Winden dieser mittelländischen Meere unablässig gepeitschten Küste.
    Das Fahrzeug, das ziemlich hart gegen eine frische Brise aus Nordnordwest ankämpfte, war vom Kai von Vitylo aus nicht sichtbar. Noch trennte dasselbe ein Abstand von 6 – 7 Meilen. Obwohl sehr klares Wetter war, hob sich der Rand seiner obersten Segel doch kaum von dem schimmernden Hintergrunde des äußersten Horizonts ab.
    Was aber nicht von unten zu sehen war, das war von oben, nämlich von dem Gipfel der Höhen aus, zu sehen, die sich über der Dorfschaft erheben. Vitylo ist auf steilen Felsen, die von der alten Akropolis von Kephala verteidigt werden, erbaut. Darüber erheben sich ein paar alte verfallene Türme, die jüngeren Ursprungs sind als jene merkwürdigen Überreste eines Serapis-Tempels, dessen Säulen und Kapitäle ionischen Stils noch immer die Kirche von Vitylo zieren. Neben diesen Türmen erheben sich auch noch ein paar kleine Kapellen, die von Mönchen bedient werden, aber geringen Besuch aufzuweisen haben.
    Es ist hier notwendig, über diesen Ausdruck "bedienen", ja auch über diese Bezeichnung "Mönch", die man an der messenischen Küste den Geistlichen beilegt, Klarheit zu gewinnen. Einen von diesen Mönchen, der soeben aus seiner Kapelle trat, wird der Leser übrigens nach der Natur beurteilen können.
    Zu der Zeit, da diese Erzählung spielt, war die Religion in Griechenland noch ein seltsames Sammelsurium aus heidnischen Überresten und Glaubenssätzen der christlichen Lehre. Von vielen Gläubigen wurden die weiblichen Gottheiten des Altertums als heilige Gestalten der neuen Religion betrachtet. Sogar heute noch werden dort, wie Henry Belle nachweist, die Halbgötter mit den Heiligen, die Spukgeister der verhexten Täler mit den Engeln des Paradieses "über einen Kamm geschoren", indem man die Sirenen und die Furien ganz ebenso anruft wie die Panagia. Daher gewisse wunderliche Praktiken, Anomalieen, über die man lächeln muß, und nicht selten eine Geistlichkeit, die sich keinen Rat weiß, aus diesem alles andere eher als orthodoxen Wirrwarr sich herauszufinden und die Mitmenschheit zu erlösen.
    Ganz besonders während des ersten Viertels des 19. Jahrhunderts, zu der Zeit eben, in welcher unsere Erzählung spielt, war die Geistlichkeit der griechischen Halbinsel noch weit unwissender als jetzt, und die Mönche, harmlose, sorglose, gemütliche Leute, "gute Kerle", mit einem Worte, schienen ziemlich geringe Fähigkeiten zur Leitung der von Natur abergläubischen Bevölkerung zu haben.
    Ja, wenn diese Diener der Kirche bloß dumm und unwissend gewesen wären! Aber in gewissen Teilen von Griechenland, vornehmlich in den wilden Gegenden der Landschaft Magnus, machten sich diese armen Leute, die übrigens zumeist aus den untersten Bevölkerungsschichten genommen wurden, die also von Haus aus ebenso gut wie durch die Not zu Bettlern prädestiniert waren und auf die Paar Drachmen, die ihnen barmherzige Reisende hin und wieder zuwarfen, erpicht waren "wie der Teufel auf die Judenseele", die kaum anderes zu verrichten hatten, als den Gläubigen irgend ein apokryphes Heiligenbild zum Kusse zu reichen oder die ewige

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