73 - Der Dukatenhof
das Herzle ist außerdem als Näherin und Putzmacherin bei alt und jung sehr wohl bekannt. Man sagt sogar, daß sie besseren Geschmack besitze als manche Stadtmamsell.
So! Jetzt ist die Vorrede fertig, und da der Herr Lehrer grad über die Wiese herüberkommt und es sehr eilig zu haben scheint, so mag die Erzählung beginnen.
Das Herzle und ihre Mutter saßen einander vor dem Häusle am Tisch gegenüber. Über diesen war ein weißes Tuch gebreitet, denn die Spitzen, welche beide klöppelten, waren so kostbar, daß man sie mit der größten Vorsicht und Sauberkeit zu behandeln hatte. Zwischen den Klöppelkissen lag ein Muster. Es war nicht gedruckt, sondern mit der Hand gezeichnet und stellte eine Handmanschette vor, wie sie nur von feinen Damen bei festlichen Gelegenheiten getragen wurden. Die Figuren bildeten Schmetterlinge, welche sich um ein Herz gruppierten.
Die Mutter hatte graues Haar, doch war ihrem lieben, stillen Gesicht anzusehen, daß sie eigentlich noch nicht in dem Alter stand, in welchem man grau zu werden pflegt. Sie hatte rote, gesunde Wangen, aber einen Zug um den Mund, der auf das Vorhandensein schwermütiger Gedanken schließen ließ.
Dem Herzle sah man an, daß sie die Zwanzig überschritten hatte. Ihr Anzug war aus weißem, frisch gewaschenem Leinen. Man sah sie außerhalb des Winters nur selten in einer anderen Farbe gehen. Sie liebte das Weiß, obgleich es nicht geeignet war, eine Unschönheit zu verbergen, die wohl jedes andere Mädchen mit aller Mühe verborgen hätte. Daher sei es aufrichtig gesagt, daß das Herzle ‚bucklig‘ war. Aber wenn man sie ohne Vorurteil betrachtete, so kam man gar nicht darauf, sie wegen dieser gewiß unverschuldeten Verkrümmung des Rückens zu bemitleiden. Wie klein, fein und schön die Händchen waren, in denen die Klöppel fast melodisch klapperten! Wie reich und weich das hoch aufgesteckte, dunkelbraune Haar! Auf der Stirn gab es auch nicht das kleinste Fältchen. Die Wangen waren voll, gesund gerötet, die Nase fein, ein wenig aufgerichtet, der Mund sehr wohlgestaltet, das Kinn weich gerundet, mit einem schelmischen Grübchen. In diesem Gesichtchen gab es keine Spur von jener bitteren, oft beißenden Schärfe, welche die unliebsame Begleiterin der oben erwähnten Verkrümmung zu sein pflegt. Und nun gar die Augen! Fast hätte man behaupten mögen, sie gehörten nicht auf das Dorf, sondern wo ganz anders hin. Solche Augen hatte Murillo gemalt, wenn er beabsichtigte, der Seelenreinheit menschliche Gestalt zu geben. Sie sind sehr selten. Wer sie besitzt, der ist ein guter Mensch.
Unweit des Tisches lag das Karlinchen auf einem Haufen frischgeschnittenen Grases. Das sollte ihr heutiges Frühstück sein; sie hatte es aber vorgezogen, es als Kanapee zu verwenden. Sie schien überhaupt etwas irritiert zu sein, so innerlich beschäftigt, vielleicht gar gedankenschwer. Dachte sie vielleicht darüber nach, warum ihr heute in aller Frühe ein Kranz aus duftenden Tannenzweigen um den Hals gelegt worden war? Oder galt der ungewisse Blick, den sie zuweilen nach dem Tisch warf, den kleinen Blumensträußchen, welche Mutter und Tochter vorgesteckt hatten? Es ist ja gar nicht auszusagen, wie es eine Ziege überraschen und aus dem Gleichgewicht bringen muß, wenn sie vom Herzle gleich früh den Kaffeezucker in das Maul gesteckt und dabei die Worte zu hören bekommt:
„Heut' werde ich vierundzwanzig Jahre alt, und du, mein gutes Karlinchen, bist nur erst acht!“ Jetzt wendete sie den Kopf. Ein frohes Meckern folgte; dann sprang sie auf. Dadurch aufmerksam gemacht, schauten die Frauen zur Wiese hinunter, über welchen ein schmaler Pfad nach der Brücke zum Häusle führte.
„Der Herr Lehrer kommt“, sagte die Mutter.
Das Herzle senkte den Kopf. Das Karlinchen aber eilte den Garten hinab und auf die Brücke zu, um den wohlbekannten Freund ihrer Herrschaft freudig zu begrüßen. Das tat sie immer, wenn er kam, denn sie hatte ihn sehr innig in ihr warmes Ziegenherz geschlossen. Warum? Wohl aus verschiedenen Gründen, von denen einer jetzt offenbar wurde, denn der junge Lehrer zog eine seiner Morgensemmeln, die er ihr mitgebracht hatte, aus der Tasche, gab sie ihr und sagte:
„Hier, dein Deputat, Karlinchen. Geh voran und sag', daß ich gratulieren komme!“
Sie drehte sich, als ob sie ihn verstanden hätte, um und kehrte mit den sonderbarsten Sprüngen nach ihrem Grashaufen zurück.
Der Lehrer hatte eine Rose in der Hand, nur eine einzige; sie war weiß. Er gab,
Weitere Kostenlose Bücher