1096 - Baphomets Henker
Das plötzliche Läuten des Telefons erschreckte Angela Bassett so sehr, daß ihr der kostbare Teller aus Meißener Porzellan von der Hand rutschte, und von Joey, dem Sohn, im letzten Augenblick aufgefangen wurde.
»Bin ich super?« Er strahlte seine Mutter an.
»Danke, Schatz.« Angela hob ab.
Sie hörte wieder die fremde, bedrohlich klingende Stimme, die nur eine Frage stellte: »Ist er da?«
»Wen meinen Sie?«
»Deinen Mann!«
Angela schwitzte plötzlich. Sie beherrschte sich nur mühsam und schrie nicht bei ihrer Antwort.
»Nein, er ist nicht hier!«
»Wo finde ich ihn denn?«
Angela legte auf. Sie wollte keine Antwort geben. Sie haßte diesen verdammten Anrufer, der es immer und immer versuchte. Sie kannte seinen Namen nicht. Sie wußte nicht, wer er war. Er hatte für sie kein Gesicht. Er war auch in diesem Sinne keine Persönlichkeit. Er war ein Schatten, ein Phantom, einfach eine Bedrohung, die es auf Basil, ihren Mann, abgesehen hatte. Die Angst war da.
Sie ließ ihr Herz schneller klopfen. Sie ging zurück und lehnte sich neben der Küchentür gegen die Wand, während sie von Joey angeschaut wurde. Der Junge wagte nicht, sie etwas zu fragen, aber auch er quälte sich, als er die Furcht in den Augen der Mutter entdeckte.
Sie atmete tief durch. Sie wußte, daß sie stark sein mußte. Die Nerven bewahren. Nicht durchdrehen. Versuchen, alles möglichst so cool wie möglich zu sehen. Das war leichter gesagt als getan. Es gab Ärger, er würde sich verstärken, das wußte sie. Und es ging dabei nicht um sie, sondern um Basil, ihren Mann. Ein wunderbarer Familienvater, der trotzdem bedroht wurde.
Angela fragte nicht nach den Gründen. Sie hatte es zwar einige Male versucht, aber nur ein Kopfschütteln bekommen. Oder eine Antwort, die sie auch nicht zufriedenstellen konnte.
»Was passiert ist, das ist passiert«, hatte er gesagt. »Man sollte darüber nicht mehr nachdenken und die Dinge vergessen.«
Basil hatte sich geirrt. Die Dinge waren nicht vergessen worden. Sie waren wieder hochgekocht, und er würde sich ihnen stellen müssen. Etwas anderes kam nicht in Frage.
Joey hätte ihr gern geholfen. Er wußte, daß es nicht möglich war. Mit gewissen Dingen mußte seine Mutter allein zurechtkommen. Vielleicht würde sie ihm irgendwann etwas sagen, doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt.
»Ich gehe dann in mein Zimmer.«
Angela nickte nur.
Als Joey die Küche auf leisen Sohlen verlassen hatte, war es mit ihrer Beherrschung vorbei. Sie senkte den Kopf und weinte. Der Druck nahm immer mehr zu. Es war unmöglich, sich ihm entgegenzustemmen. Sie konnte nichts dagegen tun. Sie war außen vor und dennoch auf eine schreckliche Art und Weise beteiligt. Allein ihr Mann konnte eine Veränderung herbeiführen.
Sie wollte Basil nicht drängen. Das hatte sie nie getan. Sie waren eine wunderbare Familie mit zwei Kindern. Und Basil gehörte nicht zu den Machos, die Menschen unterdrückten. Er war so einfühlsam. Er kam mit den Kindern gut zurecht. Er war so offen und ehrlich. Er konnte Fehler zugeben, aber er sprach nie über eine bestimmte Lebensstrecke in seiner Vergangenheit. Genau die hatte ihn jetzt eingeholt. Der Anrufer mußte etwas aus der Vergangenheit ihres Mannes wissen. Davon war Angela Bassett überzeugt.
Es war nicht der erste Anruf gewesen. Vor Tagen hatte es begonnen. Recht harmlos eigentlich.
Dann aber waren die Anrufe schneller erfolgt und auch schärfer im Ton geworden, so daß Angela Furcht bekommen hatte. Sie mußte immer daran denken. Die Anrufe ließen sie nicht los, auch in der Nacht nicht, und sie beeinträchtigten ihren Schlaf. Sie wollte nicht, daß es so weiterging, und deshalb mußte etwas unternommen werden. Nicht von ihr, das war Basils Angelegenheit. Er mußte endlich etwas unternehmen.
Aus einem anderen Zimmer hörte sie Stimmen. Dort sprach Joey mit seinem Vater. Amy, die Tochter, war in der Schule. Joey hatte an diesem Morgen erst später Unterricht, weil zwei Lehrer ausgefallen waren.
Die Stimmen verstummten. Dafür hörte Angela Schritte, die auf die Küche zukamen. Sie drehte sich herum, als sie die Bewegung neben sich bemerkte.
Basil war gekommen. Ein großer Mann mit dunklen Haaren. Vierzig Jahre alt. Dunkle Augen, ein kräftiges Kinn. Joey war beinahe das Ebenbild seines Vaters.
»Ich habe das Telefon gehört«, sagte Basil.
»Ja.«
»Wieder er?«
Sie nickte.
»Eine dumme Frage. Ich brauche dich nur anzuschauen, um zu wissen, daß er es gewesen
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