74 - Mein Leben und Streben
‚Kölnischen Volkszeitung‘, den Mann, der durch seine Veröffentlichungen für diese Verbreitung mehr als reichlich sorgte und es sogar unternahm, die sogenannten ‚Beweise‘ zu liefern, daß die betreffenden Unsittlichkeiten aus keiner anderen als nur aus meiner Feder stammen. Ganz selbstverständlich konnte der wahre, unanfechtbare Beweis nur durch die Vorlegung der von mir geschriebenen Originalmanuskripte geführt werden. Jeder andere Beweis konnte nur durch absichtliche Täuschung oder Selbstbetrug ermöglicht sein und mußte sich schließlich zur Spiegelfechterei gestalten.
Welche Art des Beweises nun führte Herr Cardauns? Er brachte Behauptung über Behauptung. Er führte eine ganze Reihe von ‚inneren Gründen‘ an, hinter denen sich der Mangel an wirklichen Gründen versteckte. Er sprach von Beweisen, Belegen, untrüglichen Aktenstücken und dergleichen. Das Wiener ‚Neuigkeits-Weltblatt‘ weist ihm sogar die Behauptung nach, er besitze die Originalbelege dafür, daß May unzweifelhaft schuldig sei. Jedermann mußte hierauf annehmen, daß er meine Originalmanuskripte in den Händen habe, und darum glaubte man ihm, zumal die Blätter, in denen er seine Behauptungen aufstellte, mir die Aufnahme meiner Entgegnungen beharrlich verweigerten. Er machte mit seiner Selbsttäuschung Schule: andere täuschten sich mit, bis sie mit der Zeit dann ganz von selbst zur richtigen Einsicht kamen. Heute glauben nur noch wenige seinen Ausführungen. Andere akzeptieren sie aus prozessualen und ähnlichen guten Gründen. Ob Vater Expeditus Schmidt und Vater Ansgar Pöllmann, meine beiden neuesten Gegner, wirklich an ihren Cardauns glauben, das weiß ich nicht; ich kann da nur vermuten. Was sie behaupten, gilt für mich noch lange nicht als Beweis. Aber sie fußen in allem, was sie gegen mich tun, auf altem Cardaunsschen Grund und Boden und scheinen wirklich überzeugt zu sein, daß ich nächstens unter ihren und den Anschuldigungen ihrer Verbündeten zusammenbrechen werde.
Diese Verbündeten sind: die frühere Kolporteuse Frau Pauline Münchmeyer, Herausgeberin des berüchtigten, von der Polizei konfiszierten ‚Venustempels‘. Ferner der Rechtsanwalt dieser Frau, Dr. Gerlach in Dresden, der nun schon seit neun Jahren unausgesetzt gegen mich im Feld liegt. Und endlich der wohlbekannte Herr Rudolf Lebius in Charlottenburg, der aus der christlichen Kirche ausgetretene Sozialist, dem ich 3.000 bis 6.000 Mark und dann sogar 10.000 Mark geben sollte, dafür wolle er mich in seinem Blatt loben und preisen. Ich gab ihm nichts. Da ging er zu Münchmeyers über und war seitdem der unermüdlichste meiner Gegner. Ich bemerke ausdrücklich, daß auch er Herrn Advokaten Gerlach zum Anwalt hat. Und wenn ich nun hinzufüge, daß dieser Münchmeyersche Herr Gerlach zugleich auch Anwalt und Berater von Pater Expeditus Schmidt und Pater Ansgar Pöllmann ist, so ergibt sich folgendes drastische Hetzjagdbild: Ich bin vollständig eingekreist. Rund um mich stehen Herr Cardauns, Frau Kolporteuse Pauline Münchmeyer, Herr Advokat Gerlach, Pater Schmidt, Herr Lebius und Pater Pöllmann. Diese alle sind jederzeit schußbereit. Sie leugnen zwar den gegenseitigen Verkehr, geben sich aber in ihren Prozessen gegenseitig als Zeugen und Sachverständige an und helfen einander bei Sammlung von Beweismaterial gegen mich und bei der Anfertigung von Eingaben und Schriftsätzen für das Gericht. Der überragendste von ihnen ist aber dieser Münchmeyersche Advokat, der alles und alle dirigiert, sogar die beiden Patres. Der unschädlichste und erfreulichste aber ist Herr Cardauns, der meines Wissens niemals zu dem Eingeständnis gebracht werden konnte, daß er meine Originalmanuskripte nicht besitze, kürzlich aber in Bonn in meiner Gegenwart vor dem beauftragten Richter als Zeuge zugeben mußte, daß er sie noch nie gesehen habe.
Ob mich die Dame Münchmeyer mit Hilfe ihrer fünf weltlichen und geistlichen Genossen zur Strecke bringen wird, ist eine schon längst entschiedene Frage. Kein Kenner der Verhältnisse stellt sie mehr auf.
Radebeul-Dresden, Oktober 1910.
Karl May.
NEUNTES KAPITEL
Schluß
Wie meine ‚Reiseerzählungen‘ nur Skizzen sind, so ist auch das vorliegende Werk nur Skizze. Es kann gar nichts anderes sein, weil das, was ich erzähle, noch nicht zu Ende ist und weil eine Menge mir auferzwungener Prozesse wie drohende Revolver auf mich gerichtet sind. Außerdem verhindern mich brutale Körperschmerzen, in der Weise zu schreiben,
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