8 Science Fiction Stories, Eine Anthologie der Berühmten, 3te Folge
kommen zu lassen und die Dinge in die richtige Perspektive einzuordnen. Hier, umgeben von der vielfältigen Wunderwelt der Natur, wurde er an die Wahrheiten erinnert, die er vergessen hatte. Er war nur einer von Millionen und Abermillionen Menschen, die den Planeten Erde bevölkerten. Die gesamte menschliche Rasse mit all ihren Hoffnungen und Ängsten, all ihren Triumphen und Narrheiten war vielleicht nichts als ein zufälliges Produkt in der Weltgeschichte. Als er vor dem riesenhaften Skelett des Diplodocus stand und die Kinder ehrfürchtig schwiegen, fühlte er einen Hauch der Ewigkeit auf sich einströmen. Der nagende Ehrgeiz, das Gefühl, daß er der Mann sei, ohne den die Nation verloren war – das alles fiel von ihm ab. Welche Nation? Vor kaum zweihundert Jahren war die Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet worden. Und dieses Skelett hatte hundert Millionen Jahre in den Bergen von Utah geruht …
Er war müde, als sie die Halle mit den Meerestieren erreichten. Sie legte ein eindrucksvolles Zeugnis davon ab, daß die Erde immer noch von urtümlichen Riesen wimmelte. Der dreißig Meter lange blaue Wal und all die anderen schnellen Räuber der Meere brachten die Erinnerung an Stunden zurück, in denen er auf dem winzigen Deck eines Seglers glücklich gewesen war. Damals kannte er Befriedigung, wenn der Bug zischend durch das Wasser schnitt und der Wind in der Takelage seufzte. Zwischen jener Zeit und dem Jetzt lagen dreißig Jahre.
»Ich mag keine Fische«, beklagte sich Susan. »Wann gehen wir zu den Schlangen?«
»Gleich«, erwiderte er. »Aber warum läufst du so? Wir haben ja noch viel Zeit.«
Die Worte waren ihm entschlüpft, ehe er sie recht bedacht hatte. Er wurde langsamer und ließ die Kinder voranstürmen. Dann lächelte er ohne Bitterkeit. In gewissem Sinne stimmte es. Er hatte viel Zeit. Jede Stunde jeden Tages konnte ein ganzes Königreich an Erfahrungen sein, wenn man sie recht nützte. In den letzten Wochen seines Lebens wollte er sie nützen.
Bis jetzt hatte man in seinem Büro noch keine Ahnung. Selbst sein Ausflug mit den Kindern hatte keine große Überraschung hervorgerufen. Es war schon oft genug vorgekommen, daß er seine Verabredungen plötzlich verschob und dadurch seine Mitarbeiter und Angestellten in einem Wirrwarr von Akten und Telefongesprächen zurückließ. Bis jetzt hatte sich an seinem Benehmen noch nichts geändert, aber in spätestens ein paar Tagen würden seine Leute merken, daß etwas mit ihm nicht stimmte. Er war es ihnen und der Partei schuldig, sobald wie möglich die Neuigkeit zu verkünden. Doch zuvor hatte er noch eine Menge persönlicher Entscheidungen zu treffen, Entscheidungen, die er nicht gern seinen Nachfolgern überließ.
Und es gab noch einen Grund für sein Zögern. Während seiner Karriere hatte er selten einen Kampf verloren, und er war um keinen Zoll gewichen, wenn ihn jemand von seinem Platz verdrängen wollte. Jetzt, vor seiner endgültigen Niederlage, fürchtete er das Mitleid und die Beileidsbekundungen, mit der seine ehemaligen Gegner ihn überhäufen würden. Er wußte, daß seine Haltung töricht war – ein letztes Aufbäumen seines hartnäckigen Stolzes, der auch von den Schatten des nahenden Todes nicht vertrieben werden konnte.
Er trug sein Geheimnis mehr als vierzehn Tage lang mit sich herum. Nach diesen vierzehn Tagen hatte er das Nötigste erledigt. Er mußte nur noch ein paar Briefe aufgeben und seine Frau anrufen.
Nicht ohne Schwierigkeiten fand seine Sekretärin endlich heraus, daß seine Frau sich im Augenblick in Rom aufhielt. Sie ist immer noch schön, dachte er, als ihre Züge verschwommen auf dem Sichtschirm erschienen. Der Rang der First Lady würde gut zu ihr passen. Soviel er wußte, freute sie sich darauf. Aber hatte er je verstanden, was sie wollte?
»Hallo, Martin«, rief sie, »ich habe deinen Anruf erwartet. Vermutlich möchtest du, daß ich zurückkomme.«
»Nur wenn du willst.« Die Weichheit seiner Stimme überraschte sie offensichtlich.
»Ich wäre eine Närrin, wenn ich es ablehnte, nicht wahr? Aber wenn sie dich nicht wählen, möchte ich wieder meine eigenen Wege gehen. Versprichst du mir das?«
»Man wird mich nicht wählen, Diana. Man wird mich nicht einmal nominieren. Du sollst es als erste erfahren – in spätestens einem halben Jahr muß ich sterben.«
Die schonungslose Offenheit war brutal, aber sie sollte einen Zweck erfüllen. Es war ihm gelungen, die schöne Maske zu durchbrechen. Ihre Augen
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