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80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

Titel: 80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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ihm, wegen des verfluchten Pfeils, der nicht in der Armbrust hatte bleiben wollen.
    Auch im Mondlicht waren die staksenden Kreaturen auf dem Meer zu erkennen. Diese schleimigen Ungeheuer hatten keinen Schaden genommen. Im Gegensatz zu den prächtigen Seeleuten, die ihn gerettet und ihm vertraut hatten, durften sie weiterexistieren – sie, die Kreaturen, und er. Er fühlte sich wie eine von ihnen – sein menschliches Äußeres schien ihm nur Blendwerk zu sein. Die Augen der Toten waren geöffnet, und der anklagende, ihn verfluchende Blick war nicht einmal im Tod aus ihnen gewichen. Er lief die knarrenden Planken des Schiffes vom Bug bis zum Heck ab, auf der Suche nach einer Stelle, wo er etwas Ruhe finden konnte, doch wohin er auch ging, wohin er sah, die Blicke der Toten verfolgten ihn.
    Sieben Tage und sieben Nächte lang stand das Schiff an derselben Stelle, und die Leichen verwesten nicht – sie rochen nicht einmal. Sie blieben wie Statuen bestehen, Mahnmale einer Sünde, die nicht weggewischt werden konnte.
    In diesen sieben Tagen hatte Sir Darren viel Zeit, um sich noch einmal zu fragen, ob er alles richtig gemacht hatte. Was wäre geschehen, wenn er sich geweigert hätte, den Albatros zu töten? Hätte die Geschichte eine andere Fortsetzung genommen, und wenn ja, welche? Oder wäre er aus der Handlung herausgefallen, entlassen worden wie ein Schauspieler, der bei der Hamlet-Aufführung Beckett zitierte? War es sein Problem, dass er sich zu sehr seinem Wissen unterordnete und es nicht wagte, aus dem engen Rahmen dessen auszubrechen, was er für gegeben hielt? Oder musste er sich im Gegenteil noch mehr mit seiner Rolle identifizieren, vergessen, dass es eine Rolle war, wie gute Schauspieler das taten?
    In der letzten der sieben Nächte lag er lange wach, wie schon in denen davor, und ihm fiel auf, dass er die übergeordnete Geschichte, die sein Leben in den letzten Monaten bestimmt hatte, beinahe vergessen hatte. Jules Vernes „In 80 Tagen um die Welt“ war zum Vorbild für seine Wette geworden, und er erinnerte sich, dass diese Geschichte ein Happy End gehabt hatte. So wie auch die Ballade des „Ancient Mariner“ am Ende einen guten Ausgang nahm. Vielleicht war es eine Illusion, dass er die Wette verloren hatte. Zwar war er gegen Ende der achten Woche auf das uralte Schiff geschleudert worden, und …
    Achte Woche? Moment, was dachte er da eigentlich?
    Die Wette sprach von achtzig Tagen, nicht von acht Wochen!
    Sir Darren griff sich verwirrt an die Stirn, und Schweiß brach ihm aus. Hatte er da einen unglaublichen Denkfehler begangen? Seit geraumer Zeit rechnete er in Wochen, ging davon aus, dass ihm nicht mehr als acht Wochen zur Verfügung standen. Aber achtzig Tage – das waren elf Wochen und drei Tage!
    Vollkommen durcheinander kletterte er vor Anbruch des achten Tages an Deck. Für einige Minuten sah er nicht einmal die ihn anklagenden Toten. War er wirklich ein solcher Dummkopf, dass er achtzig Tage und acht Wochen verwechselte wie ein verträumter Drittklässler, der in einer Mathematikklausur nur auf die hübschen Zöpfe des Mädchens vor ihm starrte?
    Ihm fiel ein, wie Phileas Fogg aus Vernes Roman seine Wette gewonnen hatte. Zunächst sah es so aus, als habe er sie verloren, denn nach Foggs eigener Rechnung traf er zu spät in London ein. Wenig später allerdings fand sein Diener Passepartout heraus, dass sein Meister sich geirrt hatte. Da sie entgegen der Erddrehung gereist waren, hatten sie einen Tag gewonnen, der nicht einmal auf Foggs penibel geführter Rechnung auftauchte.
    Sir Darren hatte einen weitaus idiotischeren Fehler begangen als der Romanheld. Wann war es geschehen? Wann hatte er zum ersten Mal achtzig Tage mit acht Wochen verwechselt? Es musste unmittelbar nach seiner ersten Begegnung mit dem Ungeheuer passiert sein, damals auf der Libera Nos. Sein Verstand war nahe daran gewesen, in den grellen Flammen seiner Panik zu verglühen. Er hatte sich wieder gefangen, ja, aber er war nicht mehr der Alte gewesen. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er das volle Ausmaß der Angst erlebt, zu der er fähig war, und es hatte seine Spuren hinterlassen, Kratzer in Seele und Geist, die bis jetzt nicht verheilt waren.
    Doch wenn er einen solchen Fehler gemacht hatte, was hatte er sonst noch alles falsch interpretiert?
    Die Zeit seiner Wette war noch nicht abgelaufen. Da ihm seine Uhr fehlte, vermochte er keine genaue Berechnung auszuführen, aber er schätzte, dass er sich nicht länger als

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