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80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

Titel: 80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Muskeln waren bemüht, den Griff der Tentakel zu brechen. Nun entspannte er sie. Er würde ihnen ohnehin nicht entkommen. Sollte das Wesen ihn doch haben, sollte es ihn doch unter Wasser ziehen! Es würde viel weniger schlimm sein zu ertrinken als weiter in dieser alles zerfressenen Angst zu baden.
    Er holte noch einmal tief Luft und ließ zu, dass er unter Wasser gezogen wurde. Der Griff der Bestie war nicht so stark wie erwartet. Natürlich – diese zerrissenen Arme hatten nicht die Kraft von Krakententakeln. Trotzdem kämpfte er nicht dagegen an, verhielt sich geradezu kooperativ, ließ sich hinabgleiten, sich näher heranziehen an den Körper des Wesens. Zu sterben war nichts, wovor man sich fürchten musste. Er war Spiritist. Er wusste, dass es nach dem Tod weiterging.
    Er spürte den weichen, morschen Körper der Kreatur und gab sich Mühe, sich nicht davor zu ekeln. Es würde nicht schlimm sein, noch weiter hineingezogen zu werden, es gab schlimmeres. Verglichen mit einem langen schweren Leiden war es ein gnädiges Ende. Von sich aus machte er einen Vorstoß, öffnete seine zu Fäusten geballten Hände und tastete nach dem Wesen. Es war, als greife man in ein dickes Gewirr aus Schlingpflanzen. Weich, zart beinahe, angenehm, wenn man es schaffte, es so zu sehen. Die ganze Zeit über hielt er die Luft an.
    Seine Finger ertasteten etwas Hartes inmitten der schlammigen Weichheit. Es schien in dem Körper der Kreatur zu stecken, und er bildete sich ein, dass sie zusammenzuckte, als er es bewegte. Er ließ seine Hände darüber hinweggleiten wie ein Blinder, der eine Form erfasst, und … er erkannte den Gegenstand.
    Es war der Albatros, den man ihm in der Rolle des alten Seemanns einst um den Hals gehängt hatte. Als der Fluch von ihm abgefallen war, war die Schnur gerissen und der Kadaver wie Blei ins Meer gestürzt. Diese Stelle gab es auch im Gedicht – es war eine der Passagen, die jedem Leser im Gedächtnis blieb:
    „The Albatross fell off, and sank like lead into the sea.“
    Doch was im Gedicht ungesagt blieb: Der Albatros wurde tatsächlich zu Blei oder zu Silber oder zu einem anderen Metall, und er sank nicht einfach auf den Grund des Ozeans hinab – der unschuldig getötete Vogel erfüllte vielmehr einen Zweck. Ja, so musste es gewesen sein: Er bohrte sich in den Dämon, der sie in neun Faden Tiefe jagte. Töten konnte er ihn offenbar nicht, aber er fügte ihm eine schwere Verletzung zu, die es ihm fortan unmöglich machte, sich vom Wind durch die Lüfte tragen zu lassen, wie er es auf der Libera Nos noch gekonnt hatte.
    Auf einmal fügte sich die ganze Geschichte zu einer Einheit zusammen. Der Tod des Albatros war nur scheinbar sinnlos gewesen.
    Das Bewusstsein, dass alles einen Zusammenhang hatte, verlieh Sir Darren übermenschlichen Mut. Er stieß ein paar Luftblasen aus und griff seinen Feind an. Anstatt sich aus seinem Griff befreien zu wollen, ging er ihn direkt an, wühlte sich tief in sein verletzliches Inneres, packte den metallenen Albatros, der dort steckte wie ein riesiges Projektil, und zog ihn nach oben, quer durch den Leib des Monstrums hindurch. Wie das sprichwörtliche heiße Messer durch Butter glitt der Vogel durch die schlickgleiche Masse.
    Die Fangarme packten zuerst fester zu, dann erschlafften sie. Sir Darren riss den Albatros an sich und stieß wieder damit zu. Dann drehte er ihn im Körper des Dämons in alle Richtungen. Obwohl ihm die Flügel nichts taten, schienen sie das Monstrum Rasierklingen gleich zu zerschneiden. Teile des morschen Leibs lösten sich, trieben davon oder stiegen an die Oberfläche, wo das Sonnenlicht sie auf der Stelle verdorren ließ.
    Jetzt war es ein Leichtes für Sir Darren, sich nach oben zu arbeiten und frische Luft in seine Lungen zu saugen. Die vielen Münder hingen nun an kleinen Fetzen, und wo sie versuchten, nach ihm zu schnappen, konnte er sie mühelos abzupfen. Ein Blutegel war schwerer zu entfernen als diese harmlosen Bruchstücke des Ungeheuers. Die Fangarme zerrissen, und die zahllosen Augen schwammen wie Froschlaich an der Oberfläche. In ihnen spiegelte sich jetzt nichts mehr – sie waren stumpf geworden.
    Keuchend machte er ein paar Schwimmzüge durch die unruhige See. Das Wesen folgte ihm nicht mehr. Es war zerstört, und der Albatros sank in diesen Minuten endgültig auf den Grund des Ozeans. Erleichtert stellte Sir Darren fest, dass er noch nicht zu weit vom Schiff entfernt war. Mit kräftigen, eiligen Zügen, aber ohne Angst,

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