Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

Titel: 80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
Vom Netzwerk:
entscheiden.
    Sir Darren war nicht sicher, was er davon halten sollte, und noch weniger, was er davon erwartete. Er analysierte sich selbst und stellte fest, dass dieses Haus seine Neugier weckte. Das letzte, was seine Neugier geweckt hatte, war dieses reißerische Buch über das Bermuda-Dreieck gewesen, und das hatte ihm nicht gerade Glück gebracht …
    Er beschloss nichtsdestotrotz, den Klingelknopf auszuprobieren. Ein blechernes Scheppern drang bis zu ihm heraus, das nicht sehr melodisch, dafür aber umso archaischer klang.
    Es dauerte sehr lange, zwei Minuten vielleicht, bis schlurfende Schritte im Hausflur zu hören waren – ein Umstand, der ihn vermuten ließ, dieser Club könne doch eher von Holländern denn von Briten geführt werden.
    „Sir?“
    Ein Butler hatte die Tür geöffnet und blinzelte ihn an. Es war eine uralte, gebeugte Gestalt mit langen, schlohweißen Haaren und riesigen, schlaffen, blassen Tränensäcken, die bis auf Nasenhöhe hinabreichten und leicht hin und her schwangen, wenn der Alte den Kopf bewegte, was er unablässig tat. Es drängte sich einem zwangsläufig die Frage auf, ob dieser Mann seinen Dienst schon seit der Gründung des Clubs vor über 130 Jahren versah. Jetzt wurde dem Dozenten auch klar, warum er so lange hatte warten müssen. Wahrscheinlich war der Diener in einem der beiden oberen Stockwerke gewesen und hatte sich erst mühsam die Treppe herabbemüht.
    Der Butler hatte etwas sehr Britisches an sich, was nicht in seinem Äußeren begründet lag, sondern möglicherweise daher rührte, dass er sich nicht in die Mitte der Tür stellte wie ein Bauernbursche, der jedem Fremden den Zugang verwehrte. Vielmehr stand er leicht schräg, bereit, jeden Augenblick einen Schritt zurückzuweichen und den Besucher einzulassen.
    „Guten Nachmittag“, begann Sir Darren. „Ich bin gewissermaßen ein … hm … kontinentaler Brite und neu in Amsterdam. Ehrlich gesagt wurde ich durch Zufall auf das Schild aufmerksam und … Sie haben bestimmt geschlossen, nicht wahr?“
    „Keineswegs, keineswegs.“ Der Diener tat das, worauf er schon die ganze Zeit über gewartet zu haben schien. Er trat zurück. „Mit Verlaub, Sir, Kirchen dürfen geschlossen sein, Clubs niemals, wenn Sie verstehen, was ich meine, Sir.“
    Der Besucher nickte und ging hinein. Obwohl er sich Mühe gab, sich aus Höflichkeit langsam fortzubewegen, hatte er den Alten im Nu abgehängt. Er blieb stehen und wartete, bis dieser umständlich die Tür geschlossen und ihn eingeholt hatte.
    „Wir können unseren Mitgliedern nicht viel bieten“, erklärte der Butler mit unsicherer, brüchiger Stimme. „Ein paar beengte Zimmer, in denen man kaum die Beine ausstrecken kann, ohne sich gegenseitig zu treten, eine geringe Auswahl der auf der Insel erscheinenden Zeitungen und Magazine, dazu einen offenen Kamin, einen Tee und ein paar Tische zum Whist-Spielen. Aber was wir bieten, bieten wir rund um die Uhr.“
    Whist? Sir Darren hatte schon seit endlosen Zeiten keine Spielkarten mehr in der Hand gehalten. In seiner Jugend hatte er Bridge gespielt, jenes hochkomplizierte Spiel, das aus dem schlichteren Whist entstanden war. Er fand es erstaunlich, dass man in diesem Club nicht zum Bridge übergegangen war, sondern immer noch dem längst aus der Mode gekommenen Vorgänger frönte. Wenn er sich recht entsann, war Bridge Ende des 19. Jahrhunderts in London eingeführt worden. Im Jahr 1872, als dieser Club hier gegründet wurde, hatte es also noch nicht existiert. Offenbar legte man hier außergewöhnlich großen Wert auf Tradition.
    Der Butler führte ihn am Ende des Korridors nach rechts in ein geschmackvoll eingerichtetes, holzgetäfeltes Zimmer, in dem ein behagliches Kaminfeuer brannte. An den Wänden hingen Ölgemälde mit Jagdmotiven in schweren, goldlackierten Rahmen, dazwischen einige Urkunden – offenbar Auszeichnungen, die der Club erhalten hatte.
    Drei Männer hatten es sich in großen grünen Ohrensesseln bequem gemacht. Einer las eine Zeitung, einer studierte eine Landkarte, und der dritte und jüngste hatte seine Sitzgelegenheit nahe an den Kamin gezogen und sah gedankenverloren in die Flammen.
    „Wie darf ich Sie den Herrschaften vorstellen, Sir?“, erkundigte sich der Butler. Die beiden Leseratten wandten sich ihm zu, nur der Mann, der ins Feuer blickte, regte sich nicht.
    „Verzeihen Sie, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Darren Edgar, Sir Darren Edgar. Ich lebe seit mehr als einem Jahrzehnt

Weitere Kostenlose Bücher