A Strong Hand (German Edition)
die bereitstehenden Teller, greife sie und stelle sie auf die Anrichte hinter mir. Erste Station, zweite Station. Pass. Raus…
»Perlhuhn«, sage ich. Aber das ist eigentlich nicht notwendig. Pierre, der wohl beschlossen hat, dass es in seiner Situation grade echt günstig ist, mir am Arsch zu kleben, wartet schon drauf.
***
»Mike?« Schlaftrunken taste ich auf die leere Seite des Bettes. Eigentlich wollte ich auf ihn warten, aber ich bin wohl beim Lesen eingeschlafen.
»Hm?«, kommt es von irgendwoher aus der Dunkelheit. Keine Ahnung, wie spät es ist.
Ich war ziemlich k.o., als ich gegen kurz nach elf aus der Küche raus bin, noch vor dem Dessert für Tisch drei. Die hatten als letztes bestellt. Verspätet, weil sie unbedingt auf jemanden warten wollten. Meinetwegen. Ein paar lausige Desserts bekommt meine Küche auch ohne Souschef wohl grade noch hin. Und die Typen waren auch ziemlich sicher keine Kritiker, die bestellen immer à la carte und nie das Menü. Und nach diesem Desaster heute ist bestimmt niemand auf die bescheuerte Idee gekommen, Pierre noch mal anrichten zu lassen.
»Ich muss los«, hab' ich zu Claas gesagt und bin, ohne mich offiziell abzumelden, einfach abgehauen. Kurz nach elf ist ziemlich früh für meine Verhältnisse. Dafür laufe ich Gefahr, morgen bei Reuter antanzen und mich rechtfertigen zu müssen, weil ich mal wieder den obligatorischen Rundgang durchs Restaurant gecancelt hab'. Mach' ich, ehrlich gesagt, bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Ich steh' nicht auf Smalltalk. Und ich lasse mich auch ungern ansehen, als wäre ich irgendein niedliches, kleines Tierchen aus dem restauranteigenen Streichelzoo. Aber es gehört eben dazu. Weil die Leute wegen mir gekommen sind. Wegen des Sterns, der siebzehn Punkte des ‚Gault Millau‘ und weil sie für ein Menü fast hundert Euro zahlen. Exklusive Getränke, versteht sich. Dafür ist der Smalltalk dummerweise im Preis mit drin. Aber mir war nicht danach. Nach zehn Stunden im Chaos hatte ich echt die Nase voll.
Als der letzte Hauptgang raus war, hab' ich geduscht, mich umgezogen und bin nach Hause. Zu Fuß, ist nur ein kurzes Stück. Ich nehme mir selten ein Taxi oder hole das Auto aus der Tiefgarage. Lohnt sich nicht. Selbst dann nicht, wenn es regnet, was in Hamburg um diese Jahreszeit ziemlich häufig vorkommt. Aber das macht mir nichts aus. Ich liebe es, die kurze Strecke durch die zur Zeit meines Feierabends meist menschenleeren Straßen zu gehen. Hat beinahe was Meditatives. Zieht die stickige, warme Luft voller Gerüche, Aromen und Geschmäcker aus meinen Lungen und tauscht sie gegen die klare Kälte. Ich brauch' das, um runter zu kommen.
Michael war nicht zu Hause. Vermutlich ist er ausgegangen, um sich mit irgendwelchen Freunden zu treffen. Es ist Freitagabend, ich kann's ihm nicht mal übel nehmen. Außerdem ist es sowieso schwierig.
Wir sind fast zwei Jahre zusammen, mal mehr, mal weniger. Eher weniger, im Moment.
In letzter Zeit kommt er öfter nicht nach Hause. Ich denke, er hat nebenher was laufen. Aber das passiert. Ist nicht das erste Mal.
Es läuft nicht so gut zwischen uns. Und es läuft auch nicht mehr sonderlich viel. Aber außer Ficken verbindet uns irgendwie sowieso nichts.
»Sorry, wollt' dich nicht wecken«, höre ich sein Flüstern. Aber ich bin hellwach. Ich sollte wohl mit ihm reden. Nicht über unsere nicht wirklich vorhandene Beziehung, sondern über diese Sache da auf dem Anrufbeantworter.
»Schon okay.«
»Bin gleich bei dir.«
Ich schalte das Licht an und taste nach meiner Brille. Tagsüber trag' ich Kontaktlinsen, aber ich würde auch ohne sehen, dass er nackt ist. Er hat geduscht. Hab' ihn gar nicht nach Hause kommen hören.
»Hast du den AB abgehört?«, frage ich möglichst beiläufig.
»Nee. War was drauf?«
»Hm, war aber für mich, nicht so wichtig…« Ich betrachte ihn im milchigen Licht der Nachttischlampe. Er ist immer noch sexy, wenn auch nicht mehr ganz so sehr wie früher. Er hat ein bisschen zugelegt, aber er ist immer noch ansehnlich. Ich hätte Bock, mit ihm zu schlafen. Ich glaube, ich hatte seit zwei verdammten Wochen keinen Sex mehr.
»Okay, mach' aus«, sagt er leise, legt sich neben mich auf die Matratze, rückt ein wenig hin und her und zieht sich die Decke über die Hüfte. Und obwohl er geduscht hat, kann ich riechen, dass sein letztes Mal definitiv nicht so lange her ist wie meins. Er betrügt mich - oder auch nicht, denn irgendwann waren wir wohl
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