AAA - Das Manifest der Macht
Abend würde es einen Empfang geben, auf dem Frank van den Bergh, Sprecher der Geschäftsleitung, hoffentlich die längst überfällige Berufung von John Marks zum Seniorpartner der renommierten und weltweit tätigen Anwaltskanzlei bekanntgeben würde. John stieß sich vom Schreibtisch ab und drehte sich in seinem Sessel, bis er durch die bis zum Boden reichenden Scheiben seines Büros im 65. Stockwerk des First International Buildings den Blick auf das grandiose Panorama des zu seinen Füßen liegenden Manhattan genießen konnte.
Kurz sah er das Spiegelbild seines Gesichts in der Fensterscheibe und fokussierte seinen Blick darauf. Er war sicher nicht eitel, aber trotzdem immer darauf bedacht, gepflegt und distinguiert aufzutreten. Sein dunkles, glattes Haar war fast militärisch korrekt geschnitten, dafür sorgte sein Friseur einmal im Monat. Seine braunen Augen passten perfekt zu dem Rest seines Erscheinungsbildes. John war sportlich, aber kein sehr großer Mann. In der Schule war er oftmals Jahrgangs-Kleinster, was ihm dort einige Probleme bereitet hatte. Seine Mitschüler hatten ihren Spaß daran, ihn deswegen zu hänseln. Doch damit hatte er leben können. Sein außerordentliches Selbstbewusstsein ließ ihn solche Hänseleien von Anfang an überhören, und Gott sei Dank hatte er in der Pubertät dann doch noch einen ordentlichen Wachstumsschub gemacht. Er war von sich überzeugt und konnte es auch sein. Denn er hatte nicht nur die High School mit Auszeichnung absolviert, sondern auch seinen Job in dieser renommierten Kanzlei machte er mehr als gut.
Ein zufriedenes Lächeln huschte über Johns Gesicht. Langsam drehte er den Stuhl wieder herum und ließ seinen Blick durch sein weiträumiges Eckbüro streifen. Die Innenarchitektin hatte ihren Job perfekt erledigt. Alle Möbel waren aus hochwertigem Kirschholz gefertigt, das so aufpoliert war, dass John sein Gesicht darin mustern konnte.
Sein ausladender Schreibtisch beherrschte den Raum, der an der einen Wand von deckenhohen Bücherregalen eingerahmt wurde. Johns Blick glitt über die Rücken der in Schweinsleder gebundenen Urteilssammlungen, und er dachte an seine Zeit in Harvard, als er wochenlang in der Bibliothek gesessen und versucht hatte, sich den Inhalt einzuprägen.Auf der dem Bücherregal gegenüberliegenden Wand hingen zwei Lithographien von Salvador Dali, Johns Lieblingskünstler. Das eine, „Die Beständigkeit der Erinnerung“, das Bild mit den fließenden Uhren, entstanden in Dalis surrealistischer Periode, hatte es John besonders angetan. Er hatte es so aufhängen lassen, dass es immer in seinem Blickfeld war, weil es für ihn die Flüchtigkeit des Moments symbolisierte.
Seine Anfangszeit in dieser Kanzlei kam ihm in den Sinn. Als junger Anwalt hatte er zunächst nur einen unbedeutenden Schreibtisch in einem Großraumbüro zugewiesen bekommen, wo es zuging wie in einem Taubenschlag. Seine Kollegen hatte er gemocht. Doch fühlte er sich lange fehl am Platz in diesem Büro, in dem sein juristisches Können definitiv unterging. Und so hatte er einen Fall nach dem anderen an sich gerissen und ausnahmslos mit Bravour gewonnen, was ihm schnell eine Beförderung einbrachte und schließlich noch eine. Bis er sich auf diesem Stuhl wiederfand. Vor diesem hochglanzpolierten Vollholzschreibtisch.
Abermals musste John lächeln. Er hatte es geschafft. Er war bis zum Juniorpartner der Kanzlei aufgestiegen und stand jetzt kurz vor dem nächsten Schritt auf der Karriereleiter.
Wieder sah John hinunter auf die Stadt. Zwar konnte er durch das dicke Glas keinerlei Geräusche der Außenwelt wahrnehmen, und doch wusste er, dass das rote Auto der New Yorker Feuerwehr dort unten einen Riesenlärm machte. Einmal bekam er Besuch von einem Studienkollegen und seiner Frau, die in Michigan in einer Kanzlei arbeiteten. Als die beiden nach dem Abendessen in einem angesagten New Yorker Restaurant auf die Straße traten und vorbeirauschende Polizei-, Rettungs- und Feuerwehrautos hörten, meinte die Frau: „Hier könnte ich nie leben, bei diesem Lärm. Niemals.“
John antwortete ihr mit einem Lächeln: „Du musst dir nur vorstellen, die sind alle Tag und Nacht unterwegs, um im Ernstfall dein Leben zu retten, und schon siehst du alles in einem ganz anderen Licht.“ Die Reaktion der Frau ließ ihn heute noch schmunzeln. „So habe ich das noch nie betrachtet, das werde ich mir merken!“
Die lange Autokette, die sich tief unten wie ein nie endender Strom durch die
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