Aasgeier
verkleinert im Laptop. Wie mein ganzes Leben im Laptop steckte.
Ich brauchte unbedingt Misty und Rick. Wir hatten uns in den letzten mexikanischen Monaten etwas entzweit, hatten aneinander Fehler gefunden, herumgekrittelt, wurden immer unzufriedener miteinander und trauten uns nicht, die notwendige Aussprache herbeizuführen. Denn ich wäre ausfällig geworden, weil ich zu der Zeit wieder täglich besoffen war, sie wären pampig geworden, weil sie meine Sauferei für einen Charakterfehler hielten und mir deshalb Vorwürfe machten, heimliche Vorwürfe unter sich, aber ich kannte doch diese Blicke, dieses Anstoßen, diese verächtliche Mundwinkelstellung.
In den letzten Wochen zusammen hatten sie Mitleid mit mir, weil Julie abgehauen war, aber sie verachteten meine Reaktion auf ihre Untreue. Wusste ich alles, was mich nur noch durstiger machte. Ich meine, ganz unter uns, die Sauferei hat mir schon immer ermöglicht, mit dem Leben zurande zu kommen, und sie hat mir schon immer geschadet. Mehr, als ich zugeben wollte. So schön kann der Suff gar nicht sein, dass er sich lohnen würde. Aber das wollte ich nicht unbedingt weitererzählen. Sollen die Leute ihre eigenen Erfahrungen machen.
Ignacio kam mit seiner Kaffeekanne an, setzte sich zu mir und stöhnte. „Die alten Weiber sind wirklich das Kreuz dieses Berufes. Die hat der Herr erfunden, um uns Fachkatholiken zu prüfen. Jeden Tag, jeden Morgen, jeden Abend, zweimal täglich bei der Beichte sitzen diese alten Schnecken da und machen unsereinem das Leben schwer. Voller Neid, Missgunst und Eifersucht, als christliche Fürsorge kaschiert, werden sie das ganze Gift bei uns los und wir sollen sie noch loben.“ Er war wirklich geschafft. So hat jeder Beruf seine Schattenseiten.
Ich wollte ihm ja ungern auf den Keks gehen, fragte aber doch noch mal, ob er mit Misty Kontakt aufnehme. Hatte er vergessen. „Klar, sofort.“ Er schaute auf die Uhr. „Sie werden gerade beim Mittagessen sein. Gute Zeit, anzurufen,“ und ging. Ich kriegte leichte Maulsperre. Hatte er mir doch erzählt, er wisse nicht, wo sie stecken und er könne nur übers Internet mit ihnen in Verbindung treten. Was verheimlichte Ignacio noch? War meine Aufstellung, von der er nichts wusste, vielleicht nicht misstrauisch genug?
Ich würde nichts sagen, aber ich würde mir merken, was gelaufen war. Wem konnte ich denn überhaupt trauen? Bei der Gelegenheit fiel mir ein, dass ich Marisol anrufen sollte, um ihr zu sagen, wo ich steckte, dass ich eine neue Telefonnummer hatte und dass es mir gut geht. Und sehen, wie es Ricky bei ihr gefällt. Würde ich heute noch machen, aber nicht mit meinem Mobiltelefon und nicht von hier.
Ignacio kam nach zwanzig Minuten wieder in den Hof. „Sie lässt schön grüßen, und ihnen ginge es gut. Sie wollte wissen, ob du schon was wegen ihrer Notizen unternommen hast, aber ich habe ihr gesagt, dass wir beide rätselten, was sie bedeuten. Hat sie mich doch glatt ausgelacht,“ staunte er, und erzählte, dass sie bald hier sein würden. Ein paar Tage noch, eine Woche. „Sie haben noch einiges zu erledigen, sagt sie, aber dann kommen sie nach Kalifornien. Ich habe ihr gesagt, ich würde irgendwo einen Treff klarmachen, wo wir auch wohnen können. Ist dir hoffentlich recht.“
Natürlich. Gut so. Ich blieb misstrauisch. Glaubte vorläufig mal kein Wort, suchte überall nach einem Haken. Vorsichtshalber nahm ich meine Sonnenbrille nicht ab, ließ sie auf der Nase, dass er meinen vermutlich fragenden Blick nicht sehen konnte.
Ich verabschiedete mich nach ein paar Minuten, sagte ihm, dass ich noch kurz in Paso Robles etwas einkaufen müsse, und fuhr bald die zehn Meilen bis zum WaldMart. Vom Parkplatz aus rief ich Marisol an.
„Gottseidank, dass du dich meldest.“ Sie war ziemlich aufgelöst. Tat mir ja auch leid, dass ich sie hängen ließ. „Ich versuche schon seit gestern früh, dich anzurufen", sagte sie, und ich konnte nur wiederholen, dass es mit leidtat. In groben Zügen sagte ich ihr, was passiert war, erwähnte zwar die Schießer im Ford nicht, aber ich sagte ihr, dass mir Ignacio ein neues Telefon verschafft hatte und dringend dazu riet, das mit der nun allzu bekannten Nummer nicht mehr zu benutzen.
Sie war einigermaßen zufrieden mit meiner Erklärung. „Ricky geht´s gut, der fragt ab und zu nach dir, aber ist immer recht zufrieden, wenn ich ihm sage, dass du bald bei uns bist. Spricht ja wirklich ein bombiges Spanisch, der Kleine. So einen Sohn habe ich
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