Aasgeier
sei.
„Stimmt. Tut mir leid. Ich habe nur über die Hose gestaunt – so eine habe ich zum letztenmal im Fred-Astaire-Film gesehen.“
Er freute sich. „Wie´s der Zufall will, hat mir Fred das gute Stück geschenkt, als er mich kurz nach dem Krieg besuchte. Seither trage ich es.“
Offenbar war der Alte schwachsinnig. Ich drehte mich wieder zum Van, um meine Tasche herauszuholen. Er stapfte an mir vorbei, brüllte „Bobby, hey, Bobby“ und marschierte durch die Tür einer der niedrigen Hütten, die hinterm Haupthaus standen. Holzfeuerrauch qualmte aus dem Kamin eines Flachbaus, in einem anderen brannte eine sehr schwache Glühbirne, und das Haus, in dem erst Bobby und dann der Gartenzwerg verschwunden waren, blieb dunkel.
Ich warf meine Reisetasche über die Schulter und folgte den beiden. Die Bude bestand aus einem einzigen, riesigen Zimmer. Die hintere Zimmerhälfte hatte eine Mattglasdecke, wodurch ein sanftes Licht in den Raum fiel. Auch hier hingen naturgetreu bemalte, offenbar fernsteuerbare Kampfflugzeugmodelle. „Ein Hobby von mir", erklärte Bobby. Er ging zum Kühlschrank und machte die Tür auf. „Ich wollte schon immer so was fliegen.“ Vor der Fensterwand, die auf den Vorplatz schaute, waren schwarze Rollladen heruntergezogen. Bobby stand gebückt in der Kälte und suchte irgendetwas, der Gartenzwerg hatte sich an den gewaltigen Tisch in der Zimmermitte gesetzt, an der hinteren Zimmerwand standen drei imposante Staffeleien. Eine trug ein halb fertiges, lebensgroßes Gemälde einer Nackten mit vielen, vielen Brüsten. Der Zwerg schaute es von seinem Platz am Tisch prüfend an. Ich staunte.
„Gefällt sie dir?", fragte der Kleine Knickerbock. Ich wollte es mit ihm nicht sofort verderben, also zögerte ich.
„Wohl nicht? Zu viele Titten, oder?“
„Na, ich weiß nicht – ich mag ja Brüste, aber ...“
„Für dich wäre die Göttin Meenakshi richtig; die hat nur drei. Meine haben immer viele. Weil nichts über Brüste geht. Jeder liebt Brüste. Männer, Frauen, Hunde, egal. Brüste kommen überall gut an“, meinte er fachmännisch. „Natürlich gelten Brüste offiziell als unberührbar, sozusagen. Im Fernsehen dürfen sie nicht gezeigt und in der Öffentlichkeit nicht herausgeholt werden. Was die klaffende Lücke zwischen Theorie und Wirklichkeit in der modernen Gesellschaft aufzeigt. Denn seit achtzig Jahren werden mit baumelnder Brust Zeitschriften verkauft und Filme interessant gemacht. Frauen lassen mit der Silikonbrust ihr Selbstbewusstsein aufmöbeln, Männer schenken eine Vergrößerungsoperation zum Hochzeitstag. Unsere Kultur liebt den Busen, wenn er nur nicht für jeden sichtbar ist. Er muss verdeckt sein, die Brustwarze darf niemals zu sehen sein, denn sie gilt als Sitz des Bösen, Quell allen Übels. Nur zwischen Buchdeckeln, sozusagen, ist sie freigegeben. Weshalb ich manchmal Schwierigkeiten habe, genügend Brüste auf die Leinwand zu packen. Diese hat so um die sechzehn Einzeltitten; alle prall, natürlich, denn nur die knackige Brust hat Fans. Alle stehen ab, denn die Hängetitte gilt als ungesund. Und alle haben keck hervorlugende Warzen mit Riesenhof, sonst rührt sich nichts in der amerikanischen Betrachterhose. Man muss dem Volk geben, was das Volk verlangt. Brot und Spiele, mein Lieber, panem et circenses.“ Er lehnte sich zufrieden lächelnd in seinen Stuhl zurück.
Der Alte hatte wirklich einen Schuss. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Bobby kam zur Rettung.
„Jon, mein Freund hier ist Zorbian, der berühmte Künstler. Maler, Bildhauer, Zeichner, Filmemacher, Philosoph, Fotograf und Töpfer. Zorbian, Jon war hier in der Gegend ein bekannter Rockradiomacher und lebt seit einigen Jahren unten in Baja California.“
Zorbian der Berühmte Maler stand auf, verneigte sich vor mir und sagte: "Herzlich Willkommen.“ So, wie es ihm seine Mutter seinerzeit einbläute. Ich schaute zu ihm hinunter, hob die Hand und sagte „howdy.“ Das freute ihn.
Er griff meinen Ärmel und zog mich rüber zum Bild. Bis zum Bauchnabel ging er mir, und aus der Nähe roch er so, wie er aussah. Ich schaute das Gemälde an und musste zugeben, dass was dran war. Was, wusste ich nicht, aber es strahlte ein gewisses Etwas aus. Die vielen Brüste störten mich nach wie vor, aber der Gesichtsausdruck der Provokateurin gefiel mir. Sie sah lieb aus.
„Zorbian malt seit sechzig Jahren seine Lieblingsfrau“, wusste Bobby, und ich machte so eine ruckartige
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