Aasgeier
Misty B. Irving und ihres Ehegatten Rick Cavanaugh einbringe.
Ich meldete mich mit einem leicht hysterischen „Wie bitte?“ zu Wort. Winston winkte ab. „Wird noch schöner", versprach er, und Kofi grinste bestätigend. Ignacio schaute, als sei ihm eine Bombe in den Schoß gelegt worden.
Kofi übernahm den Faden von Winston. „Natürlich war mir klar, daß ich hieb- und stichfeste Beweise vorlegen muss. Auch im eigenen Interesse. Wenn einer den üblichen fabrizierten Mist aus unserer Werkstatt für bare Münze nimmt, will ich mit dem nichts zu tun haben. Also gab ich ihm, was ich hatte.“ Das war einiges; nicht nur eine riesige Audio-Datei, die Winston in den Computer steckte und Gespräche abspielte, die Macmillan mit Misty in den vergangenen Monaten geführt hatte, sondern Notizen in ihrer Handschrift, Aufzeichnungen, die von Rick stammten und Kontoauszüge von in- und ausländischen Banken.
„Das Peinliche daran war natürlich, daß Dinge nicht beim Namen genannt wurden, daß alles verschlüsselt war, daß die Überwacher manchmal nur Gesprächsteile aufzeichneten. Wir wussten, daß da was faul war, aber wir wussten nicht genau, was. Erst, als Macmillan und Hartman die beiden im Motel erschossen, bekamen wir Handfestes.“ Kofi nickte zu Winston hin, der weitererzählte.
„Die Cops hatten einen Haufen Zeug, das sie nicht entschlüsseln konnten, weil sie die Hintergründe nicht kannten. Deswegen brauchten sie mich dazu. Ich konnte denen also sagen, wer Jon ist, und dass sie den vermutlich auch als Der Taucher bezeichneten. Wusste, was und wo ein „Southwest Slot“ ist und wer Julie, Perez und Juana Ramos sind. Und ich kannte natürlich die Blonde auf unserer Stripperinnen-Ranch, die in ihrem Wohnwagen aufpasste, dass sich niemand auf dem Gelände herumtrieb. Honeybunch war ihr Bühnenname, und als ich hörte, wie Misty von Honeybunch sprach, da war mir klar, dass einiges gelaufen war, wovon ich nicht die geringste Ahnung hatte.“
Honeybunch, stellte sich heraus, war der Rosettastein dieser Untersuchung. Denn Honeybunch wachte über ein meist gut gefülltes Warenlager. Unwissentlich. Sie durfte dort wohnen, durfte dort ihre Kundschaft empfangen und war frei, zu tun, was immer sie wollte. Sie durfte nur die Ranch nie allein lassen, und sie musste auf einen Knopf drücken, sobald jemand die Einfahrt hochfuhr. Das war ihr Job, und den machte sie mit einer Zuverlässigkeit, die ihr niemand zugetraut hätte. Eine Lichtschranke an der Einfahrt ließ bei Unterbrechung einen Summer in ihrem Wohnwagen ertönen, und dann musste sie hinausschauen. Wenn es ein Freier war, durfte der hereinkommen. Wenn es einer war, der auf der Ranch nichts zu suchen hatte, drückte sie auf den Knopf neben ihrer Tür. „Und der klingelte im Revier; der diensthabende Sheriff sauste dann los, wie uns der Deputierte sagte, um ihr beizustehen. War wohl nichts besonderes. Waren schon immer einige Anschaffende da oben, und jede hat einen Notruf am Bett.“
Misty und Macmillan hatten sich einige Male über Honeybunch unterhalten. Also suchten Kofi und Winston die Ranch ab, und sie fanden im Stall Kokainspuren. Dem Versteck nach musste viel Kokain dort aufbewahrt worden sein – eine sarggroße Grube, vollständig mit Kunststoffplane ausgelegt und durch dicke Lagen Holzkohle und Kaffeebohnen vor Schnüffelhunden geschützt. Da passten lockere dreihundert Kilobeutel hinein. Dass Honeybunch tot war, hatte Winston noch in Kingston dem FBI-Mann gesagt, und auch, wie sie starb.
„Alles deutet darauf hin, dass sie von Macmillan umgebracht wurde. Kann sein, dass er noch in der Gegend war, als wir sie dort fanden,“ vermutete Winston. Ich erinnerte mich an das viele Blut, an die junge, kaputte Frau, die wenige Jahre zuvor so gesund schien, so blühend aussah.
Winston wies darauf hin, dass das letzte Telefonat auf der Datei vom 2. Juni stammte. „Am Tag, als dein Geld verschwand.“ Er zog einen Ordner aus der Aktentasche, schlug ihn auf, suchte etwas und legte mir den Ordner vor, als er das Gesuchte fand. Das Gespräch war aufgezeichnet, S hieß subject, W bedeutete woman, und ich las den rot angestrichenen Teil:
S: Na gut. Und das Geld?
W: Erledigt, gestern Abend, heute Nacht und vorhin. Alles klar.
S: Wo?
W: Wie besprochen. Er hat alles so gemacht wie verabredet, und morgen werden wir unsere Bestätigungen haben. Wir treffen uns übermorgen bei deinem Freund.
S: In Ordnung. Gratuliere.
W: Danke. Übrigens, er weiß es noch nicht.
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