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Aasgeier

Aasgeier

Titel: Aasgeier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter J. Kraus
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her. Ich konnte richtig aufatmen.
     
    „Wie lange bist du schon verheiratet?“ Die Frage musste ja kommen. Ich hatte wohl gemerkt, dass sie grübelte, und ich vermutete, dass mein Ehestand der Grund dazu war.
    „Viereinhalb Jahre. Sie ist mir vor ein paar Wochen abgehauen. Hat ihre Koffer gepackt, hat keinen Brief oder sonstige Nachricht hinterlassen, und ich habe von der Nachbarin erfahren, dass sie weg ist. Seither habe ich kein Wort von ihr gehört. Nichtmal eine Frage, ob´s unserem Sohn gut geht. Nichts. Also fühle ich mich ihr zurzeit wirklich nicht verpflichtet.“ War ja wohl eindeutig. Aber es reichte ihr nicht.
    „Ihr seid nicht katholisch, oder?“
    „Sie ist es, ich nicht. Einer meiner Freunde ist Franziskaner, und der hat uns getraut.“
    „Was sagt der dazu, dass deine Frau nun weg ist?“ Sie schaute sehr prüfend. Wie sie schauen würde, wenn einer nach der dritten Mahnung mit einem überfälligen Buch ankommt.
    „Was soll er sagen? Ignacio ist Realist – der weiß, dass so was vorkommt. Und dass niemand perfekt ist. Er macht weder ihr noch mir einen Vorwurf. So ist es nun mal – mir wäre auch lieber, sie hätte das nicht getan. Tut verdammt weh, egal, ob die Liebe noch riesengroß war oder schon arg abgeflaut. Das Selbstvertrauen ist hin. Überhaupt wird es schwierig, zu vertrauen. Egal wem. Die Einsamkeit ist riesengroß, glaube mir, und die Nächte wollen nicht enden, wenn man grübelnd da liegt.“ Dass ich deshalb noch mehr als sonst gesoffen habe, wollte ich nicht unbedingt erzählen. Momentan hatte ich meinen Durst ja wieder im Griff, was vielleicht auch damit zu tun hatte, dass sie in mein Leben getreten war. Wer weiß. Ich war schon immer ein unwilliger Säufer, einer, dem der Alkohol nicht schmeckte, aber gesoffen wurde er, weil er gut tat. Er dämpfte den Schmerz, er schliff die scharfen Kanten auf ein erträgliches Maß ab. Er half ganz einfach, mit dem Tag zurande zu kommen. Und das schätzte ich am Suff. Die Geschwindigkeit, mit der die Scheiße unwichtig wurde.
     
    Das alles wollte ich ihr nicht sagen. Logisch, dass ich Alkoholiker war. Aber sie wusste genau, dass mehr an der Sache war als ich zugeben wollte.
     
    Ich stand auf, nahm sie an der Hand, und wir gingen hoch auf die Brücke. Vom Deck aus konnten wir nur Deiche sehen, aber von hier oben hatten wir einen freien Blick über die endlosen Felder, die den Fluss säumten. Ich schaltete die Armaturen ein, ließ den Motor an und ging noch mal herunter, um die Leine einzuholen. Dann fuhren wir auf den nächtlichen Sacramento.
     
    Gegen halb drei waren wir kurz vor Rio Vista. Breit wie der Mississippi war der Fluss hier, tief genug um voll beladene Frachter aufzunehmen und doch so ruhig, dass ich nur gelegentlich die Ruderstellung korrigieren musste. Marisol nickte zwischendurch ein, erwachte und bestaunte die Schönheit des Flusses und der mondbeschienenen Landschaft.
    „Wir sollten eine Woche lang nur herumfahren", schlug ich vor, und sie stimmte zu. Würde sie auch gern. Sie war im Delta aufgewachsen, aber sie kam selten auf ein Schiff, fuhr selten mal hinaus, genoss selten die Landschaft vom Wasser aus.
    „Ich habe eine Menge Urlaubstage angesammelt. Nach dem Collegeabschluss habe ich nie Urlaub gemacht. Ein paar Wochen kann ich ohne Weiteres nehmen. Der Sommer ist bei uns ziemlich flau; erst wenn die Schule im September wieder beginnt, ist Hochbetrieb. Wenn du willst, können wir nächste Woche fahren.“ Würde uns beiden guttun.
    Einwandfrei. Im Hafenbecken von Rio Vista wendete ich und steuerte zurück nach Locke. Marisol legte sich auf die Sitzbank und schlief sofort ein. Ich blieb wach, fuhr nach der Karte und legte um halb sieben an.
     
    Das Telefon schreckte mich aus dem ersten Schlaf. Ich war im Hotel – sie hatte zwar den Sonntag frei, aber sie wollte aufräumen und sauber machen und ich sollte richtig ausschlafen. Nun das Geklingel. Ich hob ab und meldete mich wohl etwas unwirsch.
    „Lieber Señor Jon, regen Sie sich ab! Bitte! Ich bin´s, Gonzales.“ Was wollte der denn von mir?
    „Ich sprach gestern mit einem Bekannten, und dabei fielen Sie mir ein. Ich bekomme Besuch aus Mexiko – ein paar VIPs wollen hoch ins Delta, und da dachte ich an Sie und ihren Trawler. Würden Sie meine Geschäftsfreunde herumfahren, ihnen das Delta zeigen? Die Herren wollen in möglichst ruhiger Umgebung tagen, wollen weder belauscht noch sonst wie gestört werden. Ihrer Schilderung nach wäre Ihr Schiff ideal!

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