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Aasgeier

Aasgeier

Titel: Aasgeier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter J. Kraus
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dass keiner mithört." Er schien sauer. Auf mich? Ich entschuldigte mich vorsichtshalber. Er murmelte etwas Wegwerfendes.
    "Der Kollege de Campo aus Los Santos schrieb mir einen Brief. Er teilt mir mit, er habe von einem Gemeindemitglied erfahren, dass deine hübsche Gattin Julie in Buenaventura wohnt."
    “Hier? In Kalifornien? In Ventura?”
    “Hier in Kalifornien. Mit einem jungen Mann, den der Kollege wohl schon lange kennt. Sie sollen wie Mann und Frau zusammenleben, meint der Monsignore, und waren kurz nach deiner Abreise in Los Santos." Mir hatte es die Sprache verschlagen. Ist ja auch ein Ding, wenn einen die eigene Frau sitzen lässt, und man dann die Einzelheiten von Fremden erfahren muss. Ignacio gönnte mir eine kurze Schreckenspause. Der kannte sich mit solchen Augenblicken aus.
    "Sie habe sich sehr eindringlich nach dir erkundigt, ist ihm erzählt worden. Und nicht nur Julie, sondern ihr, äh, Partner wollte von verschiedenen Leuten wissen, wo du bist. War offenbar nicht zimperlich bei der Befragung, bei der ihm das beichtende Schäfchen zur Hand ging. Weshalb der Kollege das Beichtgeheimnis meines Erachtens gewissenhaft auslegte und mir den Sachverhalt schrieb. Damit ich dich beraten kann, falls du mich irgendwann mal besuchst."
     
    Das war´s dann wohl. Julie und ein junger Herr, der bei Befragungen so wenig zimperlich ist, dass sich ein Priester hinsetzt und einen Brief schreibt. Obwohl ich nicht zu seiner Kundschaft gehöre. Nicht schlecht.
    Ich verstand Julie nicht. Wollte mir nicht in den Kopf, was sie mir da angetan hatte. Mir und Ricky.
    "Ja, und jetzt?" Ich stand wirklich auf dem Schlauch.
    "Na, ich meine, du solltest erst mal überlegen, ob du sie wieder zurückhaben willst. Dann entsprechend handeln. Entweder dich mit ihr in Verbindung setzen - da kann ich dir helfen - oder bis in alle Zukunft hinein Buenaventura weiträumig meiden."
    Scherzkeks. Sowas von traurig, Mensch. Ich musste trotzdem lachen.
    "Ich überleg´s mir. Erst mal vielen Dank."
    „Ist noch nicht alles", warnte Ignacio. „Ich habe eine Antwort von Misty.“
    „Und? Wie geht´s ihr? Was macht sie?“
    „Behauptet, es gehe ihnen den Umständen entsprechend, was immer das heißen mag. Sie sind irgendwo in den Staaten. Rick sei ziemlich abgebrannt, klagt sie. Offenbar sind eure Konten in der gleichen Nacht geleert worden.“
    Das hatte ich ja befürchtet. Waren mein Freund und ich im Prinzip wieder bei unserem früheren Dauerzustand angelangt. Pleite. Nur Misty hatte wohl noch Kohle – sie verstand nie, wie Onlinebanking funktioniert, und warnte uns dauernd davor, Leuten, die wir nicht mal kannten, Geld anzuvertrauen.
     
    Ignacio wusste, wie sehr mir die Nachricht an die Nieren ging. Meine Gedanken hatten sich verselbstständigt. Ich konnte mich nicht konzentrieren. Auf seine Frage erzählte ich in sehr groben Zügen, was es hier Neues gab, und wir einigten uns auf ein baldiges Treffen. Bei ihm oder hier bei mir. Mal sehen. Er würde über Gonzales mit mir Verbindung aufnehmen.
     
    Noch eine Stunde, bis Marisol Feierabend hatte. Sie kam erst gegen Viertel vor sechs heim, also hatte ich noch fast zwei leere Stunden vor mir. Irgendwas Handwerkliches, dachte ich, irgendwas putzen, reparieren oder einbauen. Möglichst nicht grübeln. Die Tür schloss ich hinter mir, klemmte den Zettel für Marisol unter die Klinke, schlenderte zum Boot hinüber und kramte im Bug herum bis ich den Farbeimer fand. Lustlos machte ich mich an die Verschönerung des Kahns.
     
    Der Name musste weg. Nicht nur Julie kannte die "Suerte Loca". Außerdem kam ein mexikanischer Heimathafen hier oben im Delta nicht gerade gut an. Zuviel Animosität gegenüber Mexikanern, zu viel Rassismus, nach wie vor. Also musste erst mal eine Taufe stattfinden.
     
    Einige Minuten nach sechs hieß der alte Trawler etwas krakelig "Miss Lucky", stammte aus San Diego und hatte seine bisherige mexikanische Zulassungsnummer am Bug beibehalten. Was vielleicht Experten auffallen würde, aber den hiesigen Wochenendkapitänen garantiert nicht. Nur die frische Farbe am Heck leuchtete mir zu sehr. Ich würde vielleicht nach dem Abendessen noch mal herkommen und einen schnellen Teilanstrich hinklatschen. Nur oben herum, vielleicht etwas weiß und ein bisschen hellgrau. Beides war reichlich da.
     
    Die Schufterei tat gut. Als Marisol mich am Pier abholte und ausführlich meine Arbeit bewunderte, war ich fast wieder der Alte. Sie hatte Pizza und Corona-Bier mitgebracht, und wir

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