Ab 1000 Meter wird geduzt!: Aus dem abgefahrenen Leben eines Skilehrers (German Edition)
befestigte und damit über den Schnee schlitterte, lachten die anderen Kinder im Dorf ihn aus. Und so übte er am Abend heimlich im Schutze der Dunkelheit, bis er drei Jahre später seine ersten »richtigen« Skier geschenkt bekam, von keinem Geringeren als Professor Weiser, dem späteren Obmann des deutsch-österreichischem Alpenvereins.
Doch Hannes Schneider war nicht nur außergewöhnlich talentiert, er wollte auch den Ruf des noch weitgehend verspotteten »Brettelrutschens« und »Narrenholzgleitens« verbessern, das zu jener Zeit lediglich Akademikern und Unternehmern vorbehalten war, weshalb die ersten Rennen auch Herrenschnellfahren genannt wurden, obwohl die Schnellsten eine halbe Stunde brauchten, um eine relativ kurze Buckelpiste herunterzufahren. Das hat sich inzwischen glücklicherweise mit verbessertem Material und optimaler Pistenbeschaffenheit geändert.
1906 nahm Schneider dann an dem ersten Skikurs für Einheimische in Zürs teil, startete nur ein Jahr später bei seinem ersten Rennen in der Schweiz und bekam mit nur 17 Jahren das Angebot, Skilehrer im Nachbarort St. Anton zu werden, um den vornehmen Gästen vom Hotel Post das Skilaufen beizubringen. Erstmals wurden die Schüler nach ihrem Können in Gruppen eingeteilt, die festen Lehrplänen folgten.
So entwickelte sich hier Anfang des 20. Jahrhunderts der Wintersport und zog den damit verbundenen lukrativen Fremdenverkehr nach sich. Auch wenn der Andrang damals noch überschaubar war, hatte eine Erfolgsgeschichte begonnen, und dank Hannes Schneider (der später auch als Schauspieler berühmt wurde und in Filmen wie Die weiße Hölle am Piz Palü , Wunder des Schneeschuhs , Der weiße Rausch mitspielte) begeisterten sich immer mehr für die Bretter. Seine Arlbergtechnik, vom Stemmbogen zum Parallelschwung, wurde weit über Österreichs Grenzen bis nach Amerika, Australien und Japan bekannt, und die Arlberg-Region hatte ihre neue Bestimmung gefunden.
Stuben hat Hannes Schneider also viel zu verdanken. Und auch mein Leben wäre anders verlaufen, wenn er sich nicht ein Paar einfache Dauben unter die Schuhe geschnallt hätte. Er ist der Urvater aller Skilehrer, und noch heute findet ihm zu Ehren jedes Jahr an Fasching das Stubner Fassdaubenrennen statt. Es ist herrlich zu beobachten, wie moderne Menschen, Groß und Klein, mit originalen Fassdauben unter den Schuhen versuchen, die Rennstrecke zu bewältigen, um den begehrten Wanderpokal zu gewinnen.
Diese Längshölzer der Wein- und Bierfässer sind die Basis des Skisports, kein Wunder also, dass mit dem Skifahren auch immer eine feuchtfröhliche Tradition verbunden war. Zu Schneiders Zeiten war allerdings von Après-Ski noch keine Rede – zumindest ist nichts dergleichen überliefert. Es wundert mich aber auch nicht, schließlich fuhren ja nur die Herren Ski …
Stuben selbst hat sich in all den Jahren nicht so verändert, wie man es vielleicht vermuten könnte: Luxusherbergen, Bettenburgen, Shoppingmeile? Fehlanzeige. Schon aufgrund seiner Lage kann es sich gar nicht weiter ausdehnen und wird immer ein idyllisches Dörfchen bleiben. Lediglich ein paar kleinere Hotels und Pensionen, heute ungefähr 40, sind hinzugekommen. Die Zahl der Einwohner bewegt sich seit Jahrhunderten ziemlich konstant zwischen 80 und 100, dafür gibt es aber mittlerweile 700 Gästebetten.
An diesem einfachen, kleinen und den Launen der Natur vollständig ausgelieferten Ort, inmitten dieser schroffen Felslandschaft, wurde ich also an einem ganz gewöhnlichen Mittwoch im April, drei Jahre vor Ende des Zweiten Weltkrieges als viertes von fünf Kindern geboren. Und den besonderen Eigenschaften dieses Dorfs ist es wohl zu verdanken, dass ich vor nichts und niemandem Angst hatte. In 70 Jahren habe ich von Kälte, Hunger, harter körperlicher Arbeit bis hin zu ausschweifenden Partys und heißen Affären in Stuben alles erlebt. Es zog mich oft raus in die Welt, aber ich kehrte immer wieder zurück, denn hier bin ich zu Hause. Die Gefahr war mein ständiger Begleiter, nicht nur die Naturgewalten der Alpen, vor allem selbst gewählte Grenzerfahrungen gehörten dazu.
Heute blicke ich auf ein reiches und erfülltes Leben zurück; ich habe viel erlebt, aber auch erlitten. In diesem malerischen Dörfchen, mit seinen schmalen Straßen und wenigen Häusern, habe ich als Bub wahrscheinlich mehr Unfug angestellt, als so mancher Großstadtbengel es tut. Denn schon als kleiner Junge versuchte ich wohl die dortige Enge und Begrenztheit zu
Weitere Kostenlose Bücher