Abaton
hatte, die sich über den Bewegungsmelder wieder eingeschaltet hatte.
Die Aufnahme zeigte, wie sich Linus hinsetzte, den Stick hervorkramte und ihn nach längerem Zögern an den USB-Anschluss steckte. Sie lächelte. Ihre Rechnung war aufgegangen. Der Junge, der sie reinlegen konnte, musste noch geboren werden. Mittlerweile gab es keinen Trick, den sie nicht kannte. Doch plötzlich erschrak sie. Das Bild wackelte und brach dann ab. Dabei zeigte das Display noch genügend Aufnahmekapazität an. Dann sprang es wieder an und Linus’ Gesicht erschien auf dem Bildschirm. Er sprach direkt in die Kamera.
„Problem gelöst“, sagte er und lächelte. „Gute Nacht.“
Dieser Bursche wusste genau, was gespielt wurde – das sah sie an seinem Gesicht.
[ 1168 ]
Die Campleiterin trat aus ihrem Wagen. Und Linus lächelte im Dunkeln.
Auf dem Weg zum Zelt grübelte er nach. Die Campleiterin hatte ihn auf dem Kieker, so viel stand fest. Was hatte das für seine Mission zu bedeuten? War sie in Gefahr? Linus legte sich auf einen Holzstoß und betrachtete den nächtlichen Himmel. So klein, wie er die Sterne sah, so klein würden irgendwelche Außerirdische da oben die Erde jetzt sehen. Aber warum eigentlich „da oben“? Das war nicht logisch, dachte Linus. Könnte genauso „da unten“ sein oder „da hinten“. Das Universum war nicht da oben, sondern überall.
„Im Himmel!“, hatte seine Kölner Oma immer gesagt, wenn Linus gefragt hatte, wo der Opa ist. Das war viele Jahre her und er hatte es geglaubt. Hatte sich eine Wolke vorgestellt, auf der sein Opa lebte. Und vielleicht war die Wolke auch nur sein weißer Bart, der inzwischen so lang gewachsen war. So stellte sich Linus das vor, als er noch klein war.
Sein Kölner Opa musste ein großartiger Mann gewesen sein. Wenn die Menschen über ihn redeten, senkten sie alle sofort die Stimme. Vor Respekt.
Er war Philosoph gewesen. Er hatte mit Denken sein Geld verdient. Vormittags und nachmittags durchstreifte er die Stadt; scheinbar ziellos. Doch er hielt seine Wege stets detailliert in seinen Tagebüchern fest. „Noch versteht das keiner!“, hatte er laut Großmutter immer gesagt. Und dabei den Zeigefinger gehoben, der mit zunehmendem Alter immer krummer wurde. Und dann wiederholte er noch einmal eindringlich: „Noch!“
Gehen und Denken und das Gedachte aufschreiben. Das war sein „Beruf“. »Ratio non Utopia« hieß sein Werk. Exakt 30 Jahre hatte er daran geschrieben. Und dann war er verstummt. Hatte mit der Familie nicht mehr geredet. Mit niemandem. Und war gestorben. Das war 23 Stunden, bevor Linus auf die Welt gekommen war ...
Als Linus zehn Minuten später sein Zelt betrat, saß sie da.
Auf seinem Feldbett.
„Hi, Linus“, sagte die Campleiterin.
Er sagte nichts. Wäre am liebsten geflohen.
„Bleib. Bitte ... Ich muss dir etwas erklären“, sagte sie und klopfte mit der Hand auf den Platz neben sich.
Linus aber setzte sich auf Eddas Bett. Die Campleiterin erzählte Linus, dass jemand Geld und ihr Handy aus dem Wohnwagen geklaut habe. Linus erbleichte. Sie wollte ihm etwas anhängen, was er gar nicht getan hatte. Doch er fing sich schnell.
Als sie Linus mit dem blutenden Finger in ihrem Wagen vorgefunden habe, fuhr sie fort, habe sie gedacht, sie könnte ihn überführen, wenn sie ihn allein ließe und ihn filmte.
„Meinetwegen können Sie meine Sachen durchsuchen. Ich klaue nicht“, sagte Linus achselzuckend. „Und wenn, dann würde ich es nicht so dämlich anstellen.“
„Ich glaube nicht, dass du die Sachen gestohlen hast. Ich hatte dich fälschlicherweise verdächtigt und möchte mich bei dir entschuldigen.“ Der Ausdruck in ihren Augen war sanft und ohne, dass er es wollte, wanderten seine Augen wieder zu ihrem Ausschnitt. Er riss sich davon los.
„Warum haben Sie nicht mit mir geredet?“
„Hättest du es zugegeben?“
„Nein.“
Sie machte eine Geste, die so etwas wie „siehst du“ bedeuten sollte. Linus nickte.
„War ’ne dumme Idee. Tut mir leid“, sagte sie. „War mein privates Handy. Alle meine Adressen ... von über fünf Jahren ...“ Sie richtete sich auf und wollte das Zelt verlassen.
Linus reagierte und schaltete auf Attacke. Seine Position war gerade günstig, dachte er.
„Warum haben Sie all diese Sachen über mich gespeichert ...?“
„Du hast also meine Festplatte durchstöbert?“ Sie schaute ihn an. Dann nickte sie, als wollte sie einlenken. „Wir haben alles Mögliche über jeden von euch gespeichert.
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