Abaton
Jungen etwas Gutes tun wollten, hatten sie ihn in eine Art Pfadfinderlager gesteckt. Ganz präsent waren Linus seine Abenteuer in einer Scheune, zwischen den Heuballen. Hier focht er mit den anderen seine ersten erfolgreichen Kämpfe. Hier war er ein tapferer Elitesoldat, der alle rettete, die schon verloren schienen. Seine Mission damals dauerte länger. Er musste auch die letzte Geisel noch aus den Fängen des Heumonsters befreien. Eine knifflige Aufgabe. Dann traf der Blitz. Linus hatte nicht bemerkt, wie draußen ein Gewitter aufgezogen war, sich das Licht in der Scheune verdunkelt hatte. So sehr war er in dem Spiel gefangen. Er hatte gar nicht bemerkt, dass die anderen schon längst ins Lager zurückgekehrt waren.
Schlimmer als der Blitz war dann der Donner. Der Schlag, den er am ganzen Leib, im ganzen Leib spürte. Der ihn erschütterte und umwarf. So lag er da und roch es zuerst. Das Feuer.
In Sekundenschnelle hatten die Flammen das trockene Heu erreicht. Es stürzte in Ballen von oben herab und versperrte Linus den Weg nach draußen. Fasziniert stand er da. Sah dem Spiel der Flammen zu. Dieser ungeheuren Kraft, die vom Himmel herabgefallen war. Linus spürte die brennende Hitze, die von dem Feuer ausging. Er liebte den Sommer, die Sonne und ihre Wärme und ihm war vorher nie klar gewesen, dass zu viel davon seinen Tod bedeuten würde. Die Flammen kamen immer näher. Linus wich nicht zurück. Es war wie eine Herausforderung, ein Test, den er bestehen wollte. Auch hinter ihm brannte die Scheune. Es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, wann das feurige Züngeln ihn erreicht hätte. Oder wäre er an dem Rauch erstickt? Da war Etwas in ihm gewesen, das ihn von jeder Panik abgehalten hatte. „Mein Freund“, dachte er immer nur. Oder besser: Irgendetwas ließ ihn das denken. „Das Feuer ist mein Freund.“
Als die Feuerwehr ihn fand, stand er immer noch auf dem gleichen Fleck und rund um ihn brannte es lichterloh ...
„Linus!“
Er drehte sich um und sah in die Augen der Campleiterin. Sie erkundigte sich nach seinem Finger. Er hielt ihn hoch, meinte, die Wunde sei so gut wie verheilt.
„Sag, kennst du dich mit Computern aus?“, fragte sie.
„Schon ...“
„Wärst du so lieb, mir bei einem Problem zu helfen?“
Linus folgte ihr in ihren Wohnwagen und nahm vor dem Laptop der Campleiterin Platz. Sie erklärte, worum es ging. Sie schien sich nicht sonderlich gut auszukennen, denn das Problem war eigentlich gar keins.
„Glaubst du, du kriegst das hin?“
„Ja, schon ...“
„Fein. Ich muss noch schnell telefonieren wegen morgen; du weißt schon, der Discoabend. Bin gleich wieder da.“ Sie verließ mit dem Handy am Ohr den Wohnwagen.
Linus saß da und überlegte. Durch das Fenster sah er, wie sie sich in Richtung Lagerfeuer entfernte. Das war die Gelegenheit. Jetzt konnte er den Rest der Dateien auf seinen Stick spielen. Er kramte in seiner Tasche, hielt inne. War das nicht ein bisschen zu einfach? War es vielleicht eine Falle? Hatte die Campleiterin ihn durchschaut? Warum hatte sie gerade ihn gefragt? Es gab sicher richtige Computerfreaks im Camp, welche, die sich wirklich auskannten; Nerds wie Thorben zum Beispiel. Sie wusste doch alles über jeden. Auf der anderen Seite ... Die Gelegenheit würde er nie wieder bekommen. In 24 Stunden sollte seine Mission starten. Er brauchte Gewissheit. Linus musste sich entscheiden. Er holte den Stick hervor, hielt noch mal inne. Ging er wirklich ein Wagnis ein? Wie konnte die Campleiterin wissen, was er am Morgen getan hatte? Da hätte sie schon Röntgenaugen haben müssen. Er steckte den Stick an den USB-Anschluss. Oder eine versteckte Kamera ..., schoss es ihm durch den Kopf und er zog den Stick im letzten Moment zurück.
Linus kümmerte sich rasch um das Computerproblem der Campleiterin. Es war wirklich ein Kinderspiel. Dann blickte er nachdenklich zum Fenster hinaus. Die Frau telefonierte immer noch in der Nähe des Lagerfeuers. Was, wenn das eine Falle war? ... Aber er konnte sich diese Chance doch nicht einfach entgehen lassen ...
Kurz darauf trat Linus aus dem Wagen und blieb dann im Schutz der Dunkelheit einige Meter entfernt stehen. Er musste nicht lange warten. Die Campleiterin hatte offenbar gesehen, wie er den Wohnwagen verlassen hatte, und kehrte eilig zurück. Jetzt zog sie die Vorhänge vor die kleinen Fenster. Linus wartete dennoch.
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Die Campleiterin setzte sich vor den Computer und schaute sich an, was die Kamera aufgenommen
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