Inkarnationen 03 - Des Schicksals duenner Faden - V3
1. Der hübsche Junge
Niobe war die schönste junge Frau ihrer Generation, mit Haar wie Buchweizenhonig, Augen wie
der Himmel an einem nebligen Sommermorgen und einer Figur, die man sich besser vorstellte, als
sie zu beschreiben. Doch hatte sie auch ihre kleinen Fehler, etwa ihr herrisches Wesen, das durch
die Fähigkeit bestärkt wurde, ihre Schönheit auszunutzen, um ihren Willen durchzusetzen, und sie
war auch nur durchschnittlich intelligent. Außerdem war sie, wenngleich sie dies nicht wußte, für
ein weitaus schwierigeres Schicksal bestimmt, als sie sich jemals hätte erträumen dürfen.
»Aber Vater!« protestierte Niobe allerliebst.
»Cedric Kaftan ist erst 16, während ich schon 21 bin! Ich kann ihn doch unmöglich
heiraten!«
Der alte Sean hob beschwichtigend die Hand. »Manche Flüsse lassen sich schwerer überqueren als
andere, und manche Schiffe sind auch kleiner. Es sind schwere Zeiten, meine Tochter, sowohl für
Irland als auch für die ganze Welt.«
Er stammt aus einer ausgezeichneten Familie; Bauern und Gelehrte, die für die Ihren sorgt.
Sein Alter ist völlig unwichtig.«
»Völlig unwichtig!« schnaubte sie. »Er ist doch noch ein Kind! Vater, du tust mir Unrecht an,
mich mit jemandem zu verheiraten, der so jung ist!«
Das Kinn des Mannes spannte sich. Zwar hatte er die Macht eines Patriarchen, zog aber Harmonie in
der Familie vor.
»Tochter, ich habe dir kein Unrecht angetan. Es stimmt, daß er jung ist, aber er wächst noch. Er
wird eine gute Partie für dich sein, wenn ich einmal tot bin.«
»Soll er doch eine Partie für irgendeine kleine Göre in seinem Alter werden! Ich weigere mich
jedenfalls, diese Schmach zu dulden!« Ihre Augen schienen sich vor Zorn aufzuhellen und
glitzerten wie der Mittagshimmel.
Sean schüttelte bedauernd den Kopf, er war keineswegs unempfänglich gegen die schillernde
Ausstrahlung seines Kindes. »Niobe, du bist das hübscheste Mädchen im Land, du verstehst es
vortrefflich, am Webstuhl zu arbeiten, aber vielleicht bist du auch die starrköpfigste! Schon
zweimal hast du vor vorzüglichen Partien zurückgescheut, und ich war schwach genug, es dir zu
gestatten. Nun wirst du für ein unverheiratetes Mädchen bereits ziemlich alt.«
Das erschütterte sie zwar, doch sie wehrte sich. »Ein fetter, alter Geldsack und ein häßlicher
Adliger! Das nennst du gute Partien?«
»Reichtum sollte man nicht verachten und Adel ebensowenig. Du hättest ein sehr unbeschwertes
Leben führen können oder ein sehr edles. Dergleichen Ehen bringt man nicht häufig
zustande.«
»Warum kann ich nicht einen gutaussehenden, kräftigen Mann von etwa 25 oder so haben?« wollte
Niobe wissen. »Warum willst du mir ein Kind aufbürden, das nicht einmal zu unterscheiden weiß,
was seine Nase ist und was sein...!«
Der Blick ihres Vaters bremste sie, bevor sie zu weit gehen konnte. So sanft er auch mit ihr
sprechen mochte, hatte ihr Widerstand auch seine Grenzen. »Weil der Krieg uns solche Männer
genommen hat, so daß keine von ihnen mehr hier übrig sind, die deiner wert wären. Ich werde dich
keinem Bauern versprechen! Du wirst nicht unter deinem Stand heiraten. Cedric ist geeignet und in
beruhigenden finanziellen Verhältnissen, dank einer Erbschaft und...«
»Und er wächst noch«, beendete Niobe angewidert seinen Satz. »In mir wächst übrigens auch etwas -
nämlich der Ekel vor dem bloßen Gedanken daran! Ich werde ein solches Kind nicht heiraten, und
dabei bleibt es.«
Doch dabei blieb es keineswegs. Sean wich um kein Deut zurück, Niobe wütete und flehte und weinte
ohne jeden Erfolg. Sie konnte sehr gut weinen, denn ihr Name bedeutete »Tränen«, ihr Vater jedoch
blieb unbeirrt. Er war entschlossen, diese Heirat vollzogen zu sehen.
Und so geschah es auch. Bald wurde das Aufgebot bestellt. Die Hochzeit fand im Frühsommer statt,
als der Bräutigam die Schule verließ. Alles verlief nach Vorschrift, doch Niobe bemerkte es kaum;
allzu bekümmert war sie, einen solchen Jüngling ehelichen zu müssen. Sie blickte ihn nicht einmal
richtig an. Als die Zeremonie beendet war, war er klug genug, nicht den Versuch zu wagen, sie zu
küssen.
So fanden sie sich allein in einem kleinen Landhaus wieder, das er geerbt hatte. Es befand sich
auf einer Lichtung, in der Nähe eines Sumpfes. Bei Tag war es dort recht angenehm für Leute, die
dergleichen mochten, bei Nacht dagegen äußerst düster. Darauf beruhte vielleicht ein Teil des
Plans: man erwartete von einem
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