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Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Titel: Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Abrahams, und man behauptet, daß dies die Stätte sei, wo einst der Hain Mamre gelegen habe. Fast jede besondere Stelle der Umgegend ist mit dem Gedächtnis des Patriarchen verknüpft, und darum ist es mir, so oft ich in Jerusalem war, stets Bedürfnis gewesen, auch Hebron zu besuchen. So auch jetzt.
    Am nächsten Morgen, genau sieben Uhr, hielt ein wohlbespannter, bequemer, viersitziger Kutschwagen vor unserer Wohnung. Mustafa Bustani und Thar saßen drin.
    »Also doch!« sagte meine Frau, als sie das sah. »Er darf mit!«
    Auch ich freute mich darüber. Der Knabe sprang aus dem Wagen und kam, uns abzuholen. Er war festlich gekleidet. Gelbe Schuhe, weiße Strümpfe, eine weiße Hose, darüber ein weißes Beduinenhemd und eine rote Weste mit gelben Husarenschnüren. Auf dem Kopfe ein roter Fez, um den ein weißseidenes Nackentuch gebunden war. Der Bub sah heut’ außerordentlich reputierlich aus.
    »Wir sind da,« sagte er. »Der Vater läßt bitten, zu kommen!«
    Das klang kräftig und offiziell. Leiser aber und in vertraulichem Tone fügte er die Frage hinzu: »Habt ihr gestern abend auch gedacht, daß ich Schläge bekommen werde?«
    »Nein,« antwortete ich.
    »Nicht? Ich habe es sehr gedacht, sehr, sehr! Und ich wollte, er hätte mich geschlagen.« Er sann einen Augenblick nach und wiederholte dann: »Ja, ja, ich wollte es!«
    »Warum?«
    »Wenn die Strafe vorüber ist, dann ist er nicht mehr zornig und nicht mehr traurig, und es tut auch mir nicht mehr weh. Wenn ich sie aber noch zu erwarten habe, wie wahrscheinlich jetzt, so hat er immer so traurige Augen, und das verursacht mir doppelten Schmerz.«
    »Wieso doppelten?«
    »Nun, erstens über diese seine Augen und zweitens über die Hiebe, die noch kommen werden. Die fühle ich unaufhörlich voraus, aber, ganz unnützerweise, denn gewöhnlich stellen sie sich dann nicht ein. So wird es vielleicht auch heut’. Trotzdem aber tun sie mir schon seit gestern abend weh. Er hat nämlich kein Wort gesagt, kein einziges. Und heut’ früh hat er mich selbst geweckt und auch selbst angekleidet, und als er so still dabei war, da konnte ich es nicht länger aushalten, sondern ich bin ihm um den Hals gefallen, um ihn zu küssen, und habe ihn gebeten, mich zu schlagen, aber tüchtig, tüchtig! Da hat er ganz leise gelächelt und nur den Kopf geschüttelt. Ich halte das für falsch. Oder meint ihr, daß es richtig ist?«
    »Was der Vater tut, ist stets richtig. Das mußt du dir merken!« belehrte ich ihn.
    »Auch dann, wenn ich es für falsch halte?«
    »Auch dann! Denn wenn du so alt sein wirst, wie er jetzt ist, wird dir die Erfahrung gekommen sein, daß er recht gehabt hat. Doch komm’! Er ist so pünktlich gewesen; so dürfen wir ihn nicht warten lassen.«
    »Nur noch einen Augenblick!« bat er. »Ich habe euch noch zu sagen, daß heut Freitag ist, also Feiertag. Da ist es mir verboten, mich schmutzig zu machen. Darum habe ich keine Farben mit. Aber ein Held bin ich trotzdem. Es ist nämlich nicht allemal notwendig, daß man sich anmalt, wenn man seine Feinde belegen will. Es gibt auch Fälle, in denen – –«
    »– – der Sieg ein wirklicher, kein angemalter ist,« fiel meine Frau lachend ein. »Du sagtest aber doch gestern, daß du heut’ die Erstürmung von Jericho malen wollest. Hast du da nicht an den heutigen Freitag gedacht?«
    »Nein. Aber es wird überhaupt aus Jericho nichts.«
    »Warum?«
    »Es fehlt mir der nötige Lärm dazu. Die Posaunen kann man malen, die Mauern auch; aber woher soll man den Lärm nehmen, wenn man keinen machen darf? Es ist wirklich schade, jammerschade! So, nun bin ich fertig. Wir können gehen.«
    So brachen wir also auf und gingen zum Wagen. Eben, als wir einstiegen, ritt Osman Achyr, der Ferik-Pascha, auf seinem dicken Esel vorüber, um einen Morgenausflug zu unternehmen. Als er uns sah, zügelte er sein Tier für einen Augenblick, grüßte freundlich nickend und fragte den Bub: »Was für ein Held bist du denn heut’?«
    Der antwortete in gewohnter Geistesgegenwart sofort:
    »Ich bin Josua, der Eroberer.«
    »Wohin willst du?«
    »In das Land der Kananiter, um ihnen zu zeigen, daß wir uns nicht vor ihnen fürchten.«
    »Wo liegt denn dieses Land?«
    »In Chalîl.«
    »So nimm dich wohl in acht, mein Junge! Die Leute dort hauen zu, ohne erst um Erlaubnis zu fragen.«
    Hierauf ritt er weiter. Mustafa Bustani versicherte uns, daß er für alles, was unterwegs nötig sei, gesorgt habe. Thar schwang sich neben den Kutscher auf

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