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Abdruecker (Splattergeschichten)

Abdruecker (Splattergeschichten)

Titel: Abdruecker (Splattergeschichten) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Bach
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lag der Schnee knöcheltief. Der Mond schien hell, und es gab in der sichtbaren Gegend nichts als diese Frau und den Nebel ihres Atems, während sie draußen neben dem Lastwagen notdürftig ihren Mantel um die Schultern schlang, sich hin hockte und urinierte. Die Straße zog lang und gerade durch die Nacht, daneben verliefen ein paar schwarze Schlammspuren am Ende der Reifen. Es gab nichts, das nun angedeutet hätte, dass sie ein Lockvogel war, aber der Gedanke eines Lockvogels rief sofort, kaum hatte er sich in ihm festgesetzt, eine Kaskade von Ängsten hoch. Vielleicht zog sie sich in dieser Stille nach dem Beischlaf, mit dem er eingelullt werden sollte, aus der Schusslinie zurück. Er hatte geglaubt, ihr Gewalt anzutun, aber vielleicht war das nur ihre List, ihn verwundbar zu machen, während russische Räuber mit Pumpguns sich zum Fernlaster vorpirschten. Diese Möglichkeit wurde in ihm plötzlich zur grellen, hinter dem Bewusstsein aufleuchtenden Panik, unter der er sich blitzschnell über den Beifahrersitz beugte, die angelehnte Tür zu zog und den Türknopf hinab drückte. Ein Kinderspiel war das momentan, er wollte grausam sein, und über ihre Reaktion darauf lachen. Er wollte sehen, was sie machen würde, wenn er ihr klar machte, dass sie allein war in einer riesigen Ebene der Kälte. Er wollte ihr seine Macht zeigen, sie hier zurücklassen zu können, wenn er nur wollte. Er wollte ihr den Tod zeigen, den er schon diese letzten Stunden erahnt hatte während der Fahrt hierher. Und handelte er nicht richtig? Gerade noch hatte er sie ja vor dem Erfrierungstod bewahrt, nun warf er sie dem Schnee ins Maul zurück.
    Draußen wurde prompt an der Tür gerüttelt und auf die Scheibe geklopft, und das zeigte ja, dass sein Spaß verstanden worden war, sagte sich der Fernfahrer. Aber die Hektik, die diese fremde Frau und Autostopperin zeigte, schien zugleich auch seine Ahnungen zu bestätigen eines Lockvogels. Ihre Entschiedenheit, dieser Lärm, übertrug sich auf ihn. Er spürte, dass er ihr nun nicht mehr trauen konnte, da sie ihrerseits ihm nie mehr trauen würde nach diesem Spaß, den er sich erlaubt hatte, und der gerade Ernst wurde. In dieser Situation konnte es passieren, dass sie ein Messer zog und auf in einstach. Dass sie ihm den kochenden Kaffee beim gemeinsamen Frühstück, das ja bald fällig werden würde, ins Gesicht warf und ihn blendete. Dass sie ihn anspuckte, bevor sie ihm eine Kugel in den Kopf jagte.
    Er verlagerte sein Gewicht auf dem Fahrersitz, verschloss auch die Fahrertür, an die sie herangehetzt war, um neu auf das Blech und die Scheibe zu klopfen und zu rufen. Sie wollte hier herein, soviel war klar. Er warf den Zündschlüssel herum, startete. Die Scheinwerfer fluteten über unendliche Schneeflächen auf, aber ganz nah war da - nun nach vorne gekommen in die Fahrtrichtung des Wagens - eine panische Gestalt, mit dem gelben Paar von Augenhintergründen eines Tiers, Augen, die im nackten Körper dieser fremden jungen Frau steckten. Entmenscht erschien ihm ihr Kreischen, das ein Brüllen geworden war, mit dem sie sich Eintritt zu erzwingen suchte. Ja, er spürte, dass es jetzt um alles ging. Die Stimme hätte er ihr nicht zugetraut, sie passte nicht zur äußeren Gestalt. Kaum hätte er die Tür geöffnet, würde sie sich mit einem Flattern an seine Kehle hängen und sie aufreißen mit spitzen Zähnen.
    Das alles machte diese Verlassenheit, diese Natur, dieser Winter, in dem die Ahnen schon mehrmals stecken geblieben waren auf dem Weg nach Osten, stärker denn je. Sie hatte bewirkt, dass er eine Frau vergewaltigt hatte wie ein entmenschter Widergänger seiner selbst. Zuerst hatte sie zur brutalen Annäherung geführt, jetzt nährte sie den Existenzkampf, die tödliche Feindschaft zwischen Mensch und Mensch. Nur mehr in einer vagen Vorstellung war da beim Gegenüber ein junges Wesen erahnbar, das aus Todesangst aufschrie, weil es in der eisigen Wildnis zurückgelassen wurde. Der Mantel wirkte wie ein bloßes Utensil angesichts der Kälte, würde die Nacktheit nie umkleiden, würde nicht mehr schützen. Der Fernfahrer war froh, dass ihr Schreien, in dem das Wissen dieses drohenden Schicksals lag, im Grollen des Motors kaum noch zu hören war. Schon scherte der Lastwagen aus, stieß auf den löchrigen Asphalt der Straße vor, wischte brüllend nach vorne los in die Längsrichtung der Straße. Dieselwolken, vom Auspuff hoch geschleudert, sanken auf die weiße Figur Mensch im Schnee herab und

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