Abendfrieden
doch verlorene Zeit. Andererseits konnte er sehr gut der Mörder sein: Er hatte seine Frau gehasst, war ein Fremdgänger, er war fast pleite und wusste, dass er sie beerben würde. Dass sich seine Fingerabdrücke in der eigenen Wohnung befanden, war normal. Er hatte die beste Gelegenheit, sie umzubringen. Sicher musste man davon ausgehen, dass Elisabeth Holthusen, bei ihren leichten Herzrhythmus-Beschwerden, entgegen der Aussage der Familie und des Arztes entsprechende Medikamente im Haus gehabt hatte. Oder der Alte hatte noch welche von seinem damaligen Herzinfarkt. Wie sollte man die tödliche Verabreichung aber nachweisen? Überdies waren die Grenzen zwischen Medikamentenunfall und Medikamentenmord durchaus fließend. Vergiftung, dachte sie, ist das Schwierigste, man denke nur an den Fall Uwe Barschel. Hinzu kamen diese hammerharten Alibis. Gab es den perfekten Mord? Nein, nicht für die Polizei. Polizisten akzeptierten keinen perfekten Mord. Also nicht aufgeben, ermunterte sich Elke Clausen. Der Alte zuckelte jetzt den Sandtorkai hinunter, und dabei blieb es. Endstation Tee-Museum.
Die Kommissarin stellte ihren Dienstwagen etwas entfernt von Holthusens Mercedes ab. Das würde jetzt langweilig werden. Sie schlug die Zeitung auf. Aber die Warterei wurde nicht so schlimm, wie sie befürchtet hatte. Plötzlich öffnete sich die schwere dunkelgrüne Tür des Kontorhauses, und der alte Holthusen trat auf die Straße. In seiner Begleitung eine Dame von Mitte fünfzig, die etwas füllige Figur wurde von einem eleganten braunen Kostüm gezähmt, die dunklen, von Grau durchzogenen Haare waren hochgesteckt.
Nach der Beschreibung im Polizeibericht musste das Irene von Sassnitz, seine Mitarbeiterin, sein. Die Kommissarin erfühlte sogleich, was für eine Beziehung die beiden verband. Kein Zweifel, da schwirrten Hormone hin und her. Die Art, wie der alte Holthusen um seinen Mercedes wirbelte, der Dame die Tür öffnete und ihr dabei tief in die Augen schaute, war mehr als kavaliersmäßige Höflichkeit. Die zwei hatten wirklich was miteinander, während Holthusens Dauerflirt mit der Galeristen-Gattin wohl nur eine geschäftliche Grundlage hatte. Oder einfach der übliche Küsschen-Küsschen-Umgang in der Pöseldorfer Kunstszene war.
Elke Clausen nahm die Kamera hoch und fing die ersten Fotos ein. Vielleicht war dies der Anfang eines beweiskräftigen Films? Sie ließ den Motor an. Der Mercedes vor ihr glitt den Sandtorkai hinunter, bog links Bei Sankt Annen ein und fuhr über die Brandstwiete bis zum Alten Fischmarkt. Auf dem großen Areal vor der Sankt Petri-Kirche fand Henri Holthusen einen Parkplatz. Elke Clausen kurvte hinterher, aber alles war besetzt. Während sie das Paar schon aus dem Auto steigen sah, gelang es ihr, sich beim Adressbuch-Haus am Schopenstehl in eine Lücke zu zwängen.
Jetzt aber hinterher. Sie spurtete los. Was hatten die beiden vor? Sicher waren sie auf dem Weg zu Hamburgs nobelster Shoppingmeile. Tatsächlich – vom Jungfernstieg spazierten sie in den Neuen Wall. Und hier reduzierten sie ihre Schritte aufs Schlendertempo. Elke Clausen seufzte auf. Was für klingende Modenamen: Armani, Bulgari, Escada, Féraud. Und sie selbst kaufte nur im Second Hand. Jetzt gingen sie zu »Beutin« hinein, sie folgte. War ein Taschenkauf angesagt? Irene von Sassnitz drehte sich mit einer nachtblauen Unterarm-Tasche vor dem Spiegel. Während die Kommissarin wie absichtslos an ihrer Digital-Kamera spielte, hatte sie die Szene auch schon im Kasten.
Arm in Arm, die von Sassnitz nun mit einer Hochglanz-Tüte an der Hand, ging es weiter den Neuen Wall hinunter, wo weitere Tüten hinzukamen: mit einem Kostüm, einem Kleid und einem Paar Schuhe. Ganz schön bei Kasse, der Alte. Nun ja, das Lissy-Erbe konnte ihm keiner nehmen, das würde auch sein angeschlagenes Geschäft sanieren. Außer, er war der Mörder. Wurde der denn gar nicht müde? Ich muss jetzt dringend aufs Klo, dachte Elke Clausen. Ah, sie drehten zum Hanseviertel ab, stiegen hinunter ins ›Mövenpick‹. Das Paar tafelte ausgiebig, zwischen den Gängen kamen jede Menge Handküsse und innige Blicke auf den Film. Elke Clausen bestellte sich eine Apfeltorte und einen Kaffee. Dann endlich wagte sie es, die Beschatteten allein zu lassen und zur Toilette zu verschwinden.
Nachdem sich Henri Holthusen und seine Begleiterin noch mit einem Espresso gestärkt hatten, wechselten sie zur Kaufmannshof-Passage hinüber, wo weitere Modeerlebnisse auf sie warteten, dann
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