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Abendfrieden

Abendfrieden

Titel: Abendfrieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Buttler
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Freihafen gegründet hat, wurden Tausende von Menschen umgesiedelt –«
    »Das weiß ich. Aber wenn wir hier von jungen Werbeleuten überschwemmt werden, dann geht diese Kaufmannskultur vielleicht den Bach runter. Ich möchte«, beharrte Danzik, »dass diese Traditionsfirmen bestehen bleiben.«
    »Auch die Firma Holthusen?«, feixte der Jüngere. »Ein Unternehmen mit einem Mörder an Deck?«
    »Das wird sich noch erweisen.« Jetzt musste auch Danzik grinsen. »Kehren wir also in die Gegenwart zurück. Was meinst du, könnte der Holthusen-Sohn seine eigene Mutter umgebracht haben?«
    »Kann ich mir nicht vorstellen. Ich habe eher den Alten im Auge. Bei Angeheirateten fällt schließlich die Blutshemmung weg.«
    Sie parkten direkt vor dem Lagerhaus und blickten an der Fassade hoch: »Holthusen Teehandel« stand in großen goldenen Lettern auf dem roten Backstein. Darunter, unter halbrundem Bogen, eine dunkle Holztür mit eiserner Vergitterung und ein Messingschild: »Holthusen Teehandel – Import – Export, gegr. 1880«, die Schrift in der altertümlichen Fraktur.
    Sie stiegen zwei Holztreppen, flankiert von einem Eisengeländer empor, und standen vor einer kassettierten Tür, links daneben noch einmal in Goldschrift, das Firmenschild. Danzik machte die Tür auf, und schon umfing sie ein Hauch von Exotik. Auf großen Wandbildern traten ihnen eine Schönheit im Sari und ein eleganter Inder mit silbernem Teeservice entgegen, eine alte Mahagoni-Vitrine präsentierte bunte Teedosen aus aller Welt. Hauptkommissar Danzik öffnete eine weitere Tür, und nun tat sich die Arbeitswelt der Firma Holthusen auf: Die Wände waren vom Boden bis zur Decke mit großen, nummerierten Teedosen bestückt; vor vier halbrunden großen Fenstern, visà-vis zur kupfergrünen Kuppelpracht der Katharinenkirche, streckte sich ein meterlanger Holztresen, bedeckt mit rund dreißig unterschiedlichen Teeblätter-Häufchen, davor ebenso viele Schalen und Tassen. Eine junge Frau und ein junger Mann, beide in langen weißen Schürzen, waren gerade mit dem Verkosten beschäftigt. Während der Mann nach und nach die Porzellandeckel nahm, um an den gekochten Blättchen zu schnüffeln, tauchte die Frau einen breiten Silberlöffel in die Schalen und sog in einem lautstarken Schlürfen ihre Testschlucke ein, um das Probierte dann herzhaft in ein rollbares, meterhohes Kupfergefäß zu spucken.
    Fasziniert schauten die Kommissare der sinnlichen Zeremonie zu, hörten Kommentare wie »rund«, »zu smoky« oder »überreif«, mussten sich aber losreißen, da plötzlich Thomas Holthusen auf sie zukam. Mit mühsamer Höflichkeit absolvierte er die Begrüßung. »Was verschafft mir die Ehre?«
    »Wir möchten ein paar Fragen an Ihre Mitarbeiter stellen.«
    »An meine Mitarbeiter?«
    »Ja, reine Routine, keine Sorge«, sagte Danzik. »Wer kann denn nun Ihre Anwesenheit am 18. März bezeugen?«
    Holthusen drehte sich etwas zu abrupt um und ging nach hinten zu einem der Büroräume. »Ach, Herr Martinsen, würden Sie bitte mal kommen?«
    Ein mindestens 80-jähriger hagerer Herr im grauen Westenanzug näherte sich den Kommissaren und begrüßte sie mit einem freundlich-distanzierten »Guten Tag«.
    Danzik warf seinem Kollegen einen leicht triumphierenden Blick zu. Siehst du, sagten seine Augen, hab ich es nicht gesagt? Es gibt sie wirklich, diese ehrenwerten hanseatischen Kaufleute, die mit über achtzig noch in ihr Kontor gehen. »Am 18. März?«, wiederholte Herr Martinsen. Er fasste an seine goldene Uhrkette und überlegte kurz. »Das war – ein Donnerstag. Da habe ich selbstvers-tändlich hier gearbeitet, wie jeden Werktag, und Herr Holthusen war auch zugegen.«
    »Den ganzen Tag?«, fragte Danzik.
    »Ja, bis 19 Uhr.«
    »Und das können Sie beeiden?«
    »Selbstverständlich.«
    »Danke, Herr Martinsen.« Thomas Holthusen nickte dem alten Herrn zu, der sich sehr aufrecht entfernte und wieder in seinem Glas-Kabuff Platz nahm.
    Der Junior führte die Kommissare, nun erheblich besser gelaunt, in sein Büro, von dem aus er den Verkostungsraum überblicken konnte. »Wir riechen, schmecken und betrachten hier täglich rund 200 Sorten. Was möchten Sie – einen Darjeeling vielleicht? Bitte nehmen Sie doch Platz.«
    Danzik und Tügel ließen sich auf einer grün gepolsterten Eckgarnitur an einem Butler-Tischchen nieder und schauten unschlüssig. »Einen Moment«, sagte Thomas Holthusen und kam mit einem Tablett zurück. Aus einer blauweißen Kanne schenkte er in die

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