Abendfrieden
mir, starrt vor sich hin und behandelt mich, als hätte ich persönlich seine Mutter zu Tode gebracht. Und ich dachte, es würde jetzt besser, endlich Zweisamkeit, mit dem Schwiegervater komme ich schon klar. Aber alles ist genau umgekehrt. Wenn Thomas überhaupt mal was sagt, dann macht er sich selbst Vorwürfe. Er hätte sich mehr um seine Mutter kümmern sollen, hätte nicht immer nur ans Geschäft denken sollen, und so weiter und so weiter.«
»Das kommt alles ins Lot, Anja. Ich finde, wir sollten uns jetzt treffen und einen Champagner zusammen trinken. Sie ist weg, das wolltest du doch immer, das allein zählt. Was soll man auch machen, wenn man seinen Mann behalten will, genießt ihn aber nur noch im Doppelpack? Sie oder ich – ich denke nicht daran, mich scheiden zu lassen. Aber was rede ich von mir? Jetzt feiern wir erst mal deine neue Freiheit.«
»Irgendwie makaber.«
»Aber realistisch. Ich hab mal gelesen, dass die beiden Henneberg-Erbinnen, du weißt schon, die von dem großen Nobelhotel, mit Champagner angestoßen haben, als ihre boshafte Mutter endlich unter der Erde war. Damals fand ich das erschütternd, jetzt kann ich das nachvollziehen. Also, wann treffen wir uns?«
»Ich bin wirklich müde, Regine. Es geht jetzt noch nicht. Die Familie und ich haben so viel zu regeln, wie das eben bei einem Todesfall so ist. Auch die Polizei war im Haus.«
»Klar, Medikamentenvergiftung, steht in der Zeitung. Da wird natürlich ermittelt. Aber du hast ja nichts zu befürchten.«
»Nein, ich habe nichts zu befürchten, ich war ja zu dem Zeitpunkt bei Isabel. Trotzdem hat mich die Befragung dieser Kommissare völlig fertig gemacht.«
»Gut, Anja, dann erhol dich erst mal. Ich denk an dich.«
»Tschüs, Regine.«
Von unten hörte Regine Mewes das heisere Schreien ihrer Schwiegermutter, die nach der Zeitung verlangte. Dieser fordernde, durchdringende Ton war eine Folter, aber noch schlimmer würde es sein, wenn die Alte eine Klingel bekäme. Dann könnte sie, als Schwiegertochter, gleich zum Dauerlauf antreten. Bis jetzt hatte sie das Norbert ausreden können, und er selbst würde sich ohnehin nicht um einen Elektriker bemühen.
Regine ging hinunter und reichte ihrer Schwiegermutter ruhig die Zeitung. Was sie darin gelesen hatte, gab ihr ein Gefühl tiefer Befriedigung.
9
Die windige Frische, die ihm gestern noch das Wasser in die Augen getrieben hatte, war plötzlich verschwunden, und Danzik sog erfreut die weiche, warme Luft ein. Von einem kaum bewölkten Himmel strahlte die Sonne auf knospende Sträucher und Rabatten, aus denen der Krokus seine blauen, weißen und gelben Blüten streckte. Danzik fuhr über die Maria-Louisen-Straße Richtung Stadtpark, der gewohnte Weg, um möglichst schnell sein Büro im Polizeipräsidium in Alsterdorf zu erreichen. Plötzlich bremste er scharf. Was waren das für Verrückte, die ihm einfach so vors Auto liefen? Überall Gewusel, Radfahrer, Fußgänger, Autofahrer, die lässig einen Arm aus dem Fenster hängten – alles bewegte sich wie beschwipst durcheinander. Der Frühling, dachte Danzik, einfach nur der Frühling. Und bin ich nicht auch ein bisschen verrückt? Er lächelte und fuhr langsamer.
Seine Heiterkeit hielt noch an, als er in die Hindenburgstraße bog. Dabei fahre ich einem Mordfall entgegen, dachte er.
Tügel saß schon am Schreibtisch und tat nichts, außer ausgiebig zu gähnen. »Hummel, Hummel«, rief Danzik.
»Darauf erwartest du wohl nicht die passende Antwort?«
»Natürlich nicht«, lachte Danzik. Das dazu gehörende »mors, mors« galt als unanständig, obwohl keiner so genau wusste, was es bedeutete.
Der Hauptkommissar warf die Akte auf den Tisch. »Eine Menge Spuren. Fingerabdrücke von der Familie und von der Putzfrau, das war zu erwarten. Fremde Abdrücke befinden sich auf zwei Gläsern, die in der Küche standen, außerdem auf einer Gin-Flasche, Brandy-Flasche und Saftflasche, mit denen offensichtlich ein Cocktail gemixt wurde. Sie alle sind aber nicht im Zentralcomputer registriert. Die Putzfrau erinnert sich, dass sie bei einem Blick in die Küche die beiden Gläser wahrgenommen hat. Hatte Elisabeth Holthusen jemanden zu Besuch?«
»Es sieht so aus. Der Mörder hat die Gläser noch vom Wohnzimmer in die Küche gebracht, wollte sie wohl gerade abwaschen und abtrocknen, das Geschirrtuch lag schon daneben. Aber dann ist er überrascht worden.«
»Oder die Mörderin. Könnte es auch eine Frau gewesen sein? Was meinst du,
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