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Abendfrieden

Abendfrieden

Titel: Abendfrieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Buttler
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das Thomas so sehr liebte. Es zeigte eine junge Frau mit halblangen blonden Haaren und blauen Augen, heiter und offen schaute sie aus dem Bild, um ihre schlanke Taille lag ein dekorativer Ledergürtel. Anja starrte die Fremde, die sie selbst war, nein, gewesen war, sekundenlang an, in einer dumpfen, leeren Deprimiertheit. Dann schüttelte sie den Kopf. Sie legte den Flachmann unter die Handtücher und stieg langsam die Treppe hinab.
    In der Küche blieb sie unschlüssig vor dem Herd stehen. Sollte sie noch mal abschmecken? Ach, es würde ja doch nichts bringen. Sie ließ sich auf einem der Buchenholz-Stühle nieder, und wieder kreisten ihre Gedanken in derselben Bahn, ohne Hoffnung und ohne Antrieb, wie immer. Eine neue Stellung als Sprachlehrerin würde sie mit ihren 46 Jahren nicht mehr bekommen, von den privaten Instituten in Hamburg, die in Frage kamen, hatten zwei schon schließen müssen. Sie war gefangen, ein Weggehen wäre Selbstmord gewesen und Bettine, ihre gemeinsame Tochter, war so weit weg …
    Konnte sie sich ein Leben ohne Thomas überhaupt vorstellen? Natürlich nicht. Aber er wollte in der Villa am Leinpfad bleiben, befand sich fest in elterlicher Hand. Beim Vater geschäftlich und bei der Mutter …
    Anja fuhr zusammen. Ein Schlüssel hatte sich im Schloss gedreht. Hoffentlich kam »sie« nicht zuerst. Nein, es war Thomas, stellte sie erleichtert fest. »Erst mal duschen«, rief er und sprang die Treppe hoch. Seine blonden, sehr kurzen Haare sahen verklebt aus.
    Zum zweiten Mal hörte Anja das Schließgeräusch, diesmal etwas bedächtiger. »Na, alles unter Kontrolle?« Henri Holthusen hatte seinen Burberry-Trench abgelegt, ging zielstrebig, ohne sie anzusehen, zu seinem ledernen braunen Ohrensessel und griff nach der ›Welt am Sonntag‹. Er sah wie immer aus: die grauen Haare sauber gescheitelt, schwarzgrauer Nadelstreifen-Anzug, Krawatte und Einstecktuch in Rot, risikolos im gleichen Dessin. Nur ein paar Sekunden später stand seine Frau in der Diele. Sie schaute in den Spiegel und zupfte an ihrem perfekt sitzenden altrosa Kostüm herum. Dann nahm sie die Sonnenbrille, die auf ihren weißblonden Haaren steckte, und verstaute sie in einem rosa Lederetui.
    Im Wohnzimmer steuerte sie sogleich auf den rechteckigen Tisch zu, um den acht Mahagoni-Stühle im englischen Hepplewhite-Stil gruppiert waren. Prüfend umrundete sie die festlich wirkende Tafel. »Anja, komm doch bitte mal her!« Die Angerufene erschien mit rotem Kopf im Türrahmen. Was wollte die Alte schon wieder? Und dann diese kreischige Stimme. In den letzten Jahren schien sie noch höher geworden zu sein. »Hier – Messer mit der Schnittkante nach außen. Das darf doch nicht wahr sein. Du weißt genau, dass das Unglück bringt. Jemand wird durch ein Messer umkommen …«
    Anja hob die Schultern und holte die Speisen aus der Küche. Etwas zu laut setzte sie die Schüsseln auf die Platte.
    Die Tischordnung war eigenartig: an der Stirnseite der Hausherr, rechts neben ihm seine Frau, gegenüber von ihr Thomas. An seiner Seite, entfernt von den anderen, hatte Anja ihren Platz. »Anhängsel«, dachte sie jedes Mal verbittert.
    Elisabeth, die auf der Anrede Lissy bestand, riss ihrer Schwiegertochter die Reiskelle aus der Hand und füllte die Teller. »Guten Appetit!« Sie kaute intensiv auf den Körnern herum. »Zu matschig, die sind doch nicht al dente!«
    Anja hielt ihre Gabel umklammert. Al dente, wie lächerlich! So lächerlich wie das Peugeot-Cabrio oder das Handy, mit dem ihre 78-jährige Schwiegermutter aktuellen Lifestyle demonstrierte. Eines Tages würde sie ihr die Reiskelle persönlich ins überschminkte Gesicht rammen …
    Die Ältere stocherte inzwischen ihr Hähnchenfleisch an. »Nicht kross genug.«
    »Nun lass doch mal, Mutter.« Thomas sah besorgt zu seiner Frau.
    Henri Holthusen schüttelte langsam den Kopf. Dann legte er die Gabel ab. »Vielleicht solltest du mal wieder das Regiment übernehmen«, wandte er sich an seine Frau. »Misch dich da bitte nicht ein. Ich weiß schon, was hier zu tun ist.«
    Der Hausherr ließ sich die Zurechtweisung nicht anmerken und betrachtete erneut das Etikett der Weinflasche. »Ein wirklich guter Tropfen. Bei ›Gröhl‹ kauft man doch immer noch am besten. Tradition zahlt sich eben aus, nicht wahr Thomas?«
    »Wenn du damit auch unsere Firma meinst …«
    »Natürlich, mein Junge. Was gibt’s denn Neues im Kontor?«
    »Es läuft.« Thomas war nicht gewillt, die erhofften Details zu liefern.

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