Abendland
mit diesem Wort das Leben meiner Familie auf den richtigen Begriff gebracht war.
Ich sprach mit Günther Veronik. »Es ist ein Zufall, daß er zu mir gekommen ist«, sagte ich. »Er hätte auch zu einem von euch kommen können. Er ist zu mir gekommen, weil unser Haus am nächsten bei den Feldern steht.« Ich wußte, das stimmte nicht. Maro hatte nur mich gemeint. Er wollte mit mir Musik machen und mit sonst keinem. Günther verlor mit einem Schlag jedes Interesse an der Band. Mit einem Rottmeier wollte er nichts zu tun haben. Und ich wußte, auch unser Schlagzeuger wollte mit einem Rottmeier nichts zu tun haben und auch unser Rhythmusgitarrist nicht. Das war mir recht. Es war meine Band. Und wir würden meine Musik machen, und zwar in einer Besetzung wie Cream. Maro = Jack Bruce = Baß. Ich = Eric Clapton = Lead-Gitarre. Chucky = Ginger Baker = Schlagzeug.
Ich wartete. Eine Woche, zwei Wochen. Maro meldete sich nicht. Als meine Freunde kamen, um den Baß und das Schlagzeug abzuholen, bat ich sie, mir die Sachen noch eine Weile zu lassen. Einmal schlich ich am Rottmeierschen Haus vorbei. Ich fürchtete mich vor den Hunden. Sie lagen im Schatten des Kleinlasters, mit dem Maro herumfuhr, obwohl er zwei Jahre zu jung für einen Führerschein war. Daneben war ein VW auf Steinen und einer umgedrehten Schubkarre aufgebockt, die Räder waren abmontiert, die Motorhaube klaffte auf. Davor stand ein unglaublich schmutziger Schemel, auf der Erde lagen eine halb aufgerollte Tube Kondensmilch und eine Schachtel Smart Export und eine Schachtel Streichhölzer. Als mich die Hunde sahen, spitzten sie die Ohren, einer erhob sich, tapste in die Sonne, blinzelte zu mir herüber und bellte zweimal, aber ohne rechten Ehrgeiz. Er war ein niedriger, heller Schäfer, ich rechnete ihn Maro zu. Das Haus war ähnlich wie unseres, eines der üblichen Bauernhäuser mit angebauter Scheune. Die Holzschindeln an den Wänden waren grau und zum Teil schon abgewittert, so daß die mit Lehm und Stroh gefüllte Holzkonstruktion darunter zum Vorschein kam. Auf einer Seite des Hauses war ein Dachflügel eingesunken. Ein paar Dutzend Ziegel fehlten, die Dachlatten waren zu sehen. Ich hockte mich auf den Rottmeierschen Zaun, im Respektabstand zu den Hunden. Die andere Straßenseite war mit Büschen bewachsen, die einen scheckigen Schatten auf den Staub warfen. Der Duft getrockneten Heus wehte zu mir herüber. Die Sonne brannte auf meinen Nacken und auf meine Oberarme. Ich war bereit. Maro hatte den ersten Schritt getan, indem er mich besucht hatte, nun besuchte ich ihn. Was stellte er sich vor? Stellte er sich überhaupt etwas vor? Hatte er schon jemals einen E-Baß in der Hand gehabt? Würde er sich je merken können, wann im Blues auf die Subdominante und wann auf die Dominante gewechselt wird? Wußte Chucky, daß er von seinem Bruder zum Schlagzeugspielen eingeteilt worden war? Und wenn er das gar nicht wollte? Mit Chucky, sagten manche, sei noch weniger zu spaßen als mit Maro. Was Maro liegen lasse, auf das trete Chucky drauf. Ihm rechnete ich den anderen Hund, den dunklen, zu. Oder hatte mich Maro verarschen wollen? Aber warum? Andererseits: Brauchte jemand wie Maro einen Grund für irgend etwas? Nach einer Weile sprang ich vom Zaun. Ich rief seinen Namen. Die Hunde fingen sofort zu bellen an, sie traten nun beide aus dem Schatten, bellten sich gegenseitig in Rage und kamen zögerlich auf mich zu. Ich drehte mich um und ging davon. Er konnte doch nicht erwarten, daß ich mich mit seinen Hunden anlegte! Ich kannte niemanden, der ihn so gut kannte, daß er ihm etwas ausrichten wollte. Sollte ich ihm einen Brief schreiben? Er würde meinen, ich sei schwul. Oder ich will ihn blamieren, weil er nicht gescheit lesen kann. Ich wartete weiter.
Einer, den ich flüchtig kannte, sagte eines Tages zu mir: »He!« Und ich sagte: »Was?« Und er sagte: »Der Maro. Er erzählt herum, wenn er dich erwischt, drückt er dir die Zähne in den Magen.«
Ich glaubte nicht, daß er es bildlich meinte. Ich glaubte nicht, daß Maro je irgend etwas bildlich gemeint hatte. Nicht eine Ohrfeige sollte es setzen. Oder einen Anschiß. Oder einen Boxer. Oder ein Zusammenhauen mit zerblutetem Gesicht. Er wollte mir die Zähne in den Magen drücken. Ein gewaltiger Faustschlag, der mich von oben nach unten durchbohrte. Seine Faust fährt in meinen Mund, durchbricht Ober- und Unterkiefer, reißt die Zähne mit sich. So ungefähr. Aber warum wollte er das tun?
4
Ich traf mich bald mit
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