Abendland
die bei einem Gedächtniskonzert zu Ehren von Jimi Hendrix, der im September gestorben war, spielen wollten. Ich setzte meinen Namen in die Sparte »Gitarre« und gab meinem Können die Note zwei. Als die Bands zusammengestellt wurden, war ich nicht dabei. Grimmig mußte ich bei dem Konzert im Audimax feststellen, daß die Musik, die geboten wurde, ein einmaliger, himmeltraurig jämmerlicher Scheißdreck war, daß dies aber offenbar niemanden weiter störte.
Von Maro hatte ich seit drei Jahren nichts mehr gehört. Es war also anzunehmen, daß er die Sache mit unserer Band vergessen hatte. Daß er andere Sorgen hatte.
Die hatte er tatsächlich. Er habe, wurde mir, als ich in den ersten Semesterferien nach Hause kam, erzählt, ein Kilo Haschisch oder mehr und noch anderes dazu aus Spanien herausschmuggeln wollen und sei dabei erwischt worden. Er sei abgeurteilt und in ein spanisches Gefängnis gesperrt worden. Als ich in den zweiten Semesterferien nach Hause kam, hieß es, er habe sich im Gefängnis wie die wilde Sau aufgeführt, weswegen seine Strafe verlängert worden sei. Außerdem sei er, das stehe fest, von jemandem verraten worden. Sein Bruder Chucky, hieß es weiter, habe überall verlauten lassen, er werde den Verräter erwischen und ihm die Augen ins Hirn drücken. Ich dachte, wenn ich mich erkundige, wird sich das womöglich herumsprechen, und man wird sich fragen, warum erkundigt der sich. Auch Chucky schätzte ich als jemanden ein, der nichts im Leben bildlich meinte.
Als Maro nach fünf Jahren aus Spanien zurückkam, erkannte ich ihn nicht wieder. Sein Gesicht war vernarbt und schief, der linke Arm hing ihm herunter. Er hatte im Gefängnis einen Schlaganfall erlitten – mit vierundzwanzig Jahren! Merkwürdigerweise brachte er viel Geld mit. Er kaufte sich eine Honda 750. Damit ihm die kaputte Hand beim Fahren nicht herunterrutschte, klebte er sie mit Isolierband an der Lenkstange fest. Wenn ich ihn in den Ferien auf der Straße sah, stellte ich mich in einen Hauseingang, und wenn kein Hauseingang in der Nähe war, hinter einen Baum, und wenn kein Baum in der Nähe war, drehte ich mich um und zog den Hals ein. Damals, als er bei dem Feuerwehrfest geschlagen worden war, hatte er zu mir herübergeschaut und die blutigen Locken gegen mich geschüttelt. Als wollte er mir demonstrieren, wofür man ihn alles einsetzen könnte.
5
Weihnachten 1979 – also zehn Jahre, nachdem ich Österreich verlassen hatte – lernte ich Maros Bruder Chucky kennen. Alles war inzwischen anders: Ich hatte mein Studium beendet, hatte definitiv alle Bemühungen um eine Dissertation aufgegeben, lebte in Frankfurt zusammen mit Dagmar in einer festen Beziehung, wollte bis ans Ende in Deutschland bleiben. Mein Vater war seit drei Jahren tot. Meine Mutter lebte allein in Nofels.
Und Dagmar war im achten Monat schwanger. Wir hatten eine merkwürdig ruhige Zeit verbracht, seit wir uns entschlossen hatten, zu heiraten und ein Kind zu haben. Wir begegneten einander mit einer Höflichkeit, die wir beide nach unseren Kämpfen als erholsam empfanden, aber auch als bedrückend. Wir verbrachten die Stunden des Tages gemeinsam, was bisher nicht der Fall gewesen war, und wir legten einander den Arm um die Hüfte, wenn wir durch die Stadt gingen. Den Termin der Heirat schoben wir vor uns her, schließlich einigten wir uns auf ein großes Familienfest, bei dem Eheschließung und Geburt unseres Kinder in einem gefeiert werden sollten. Dagmar spürte, ich spürte, daß sie, daß ich eine Zeitlang allein sein mußten, wenn wir nicht einen weiteren Ausbruch riskieren wollten. Wir kamen überein, die vorlesungsfreie Zeit um Weihnachten getrennt zu verbringen; bekannten uns allerdings nicht zum wahren Grund, sondern argumentierten uns gegenüber, wir würden in naher Zukunft ja ohnehin eine Familie sein, und es seien sicher die letzten Weihnachten, die Dagmar zu Hause in Marburg mit ihren Eltern und ihrem Bruder und ich in Vorarlberg mit meiner Mutter verbringen würden.
Meine Mutter war enttäuscht, daß Dagmar nicht mitgekommen war. Sie hatte sie noch nicht kennengelernt, und sie hätte gern, sagte sie, ihre Hand auf ihren Bauch gelegt. Ich rief in Marburg an und reichte meiner Mutter den Hörer und ging in die Küche, damit sie ungestört im Flur mit ihrer zukünftigen Schwiegertochter sprechen konnte. Das Gespräch dauerte erstaunlich lang. An den Abenden saßen meine Mutter und ich gemeinsam vor dem Fernseher, wir frühstückten auch gemeinsam,
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